Es scheint fast Teil der Inszenierung zu sein, daß vor dem Filmstart die Vorhänge noch ein Stückchen weiter aufgemacht werden: Der Weltuntergang braucht halt etwas mehr Platz auf der Leinwand als die Trailer zu Benicios Wolfsmensch und dem Neumond 90210.
Roland Emmerich hatte ja schon immer eine diebische Freude an der Zerstörung. Das weiße Haus, Wolkenkratzer, ganze Städte, die nördliche Hemisphäre: Der Spaß am Demolieren mit auf 11 eingestelltem Verstärker blieb bei ihm stets mehr im Kopf haften als die reduzierten Plotfäden, an denen die Destruktion aufgehangen war. Und obwohl die meisten seiner Filme eigentlich in ihrer diametral angelegten Kluft zwischen Inhalt und Feuerwerk endlos frustrierten, konnte man sich bei der Ankündigung seiner jüngsten Effekt-Onanie doch ein kindisches Grinsen nicht verkneifen: Warum nicht einfach mal die ganze Welt untergehen lassen?
Wie passend, daß da gleich ums Eck eine neuerliche Apokalypse auf uns wartet, deren Vorgänger ja wohl zur Millenniumswende faul auf dem Sofa hocken blieb und uns nicht beehrte: Weil der Maya-Kalender am 21.12.2012 endet und an diesem Tag offenbar eine besondere Planetenkonstellation zu bewundern ist, dichten seit geraumer Zeit Weltuntergangsfans eine Theorie zusammen, nach der an diesem Tag – sozusagen pünktlich! – Schicht im Schacht ist. Viel mehr braucht Emmerich gar nicht, um aus dem Szenario einen narrativen Film zu machen: nur noch den erfolglosen Schriftsteller Jackson Curtis (John Cusack), der seine Patchwork-Familie quer durch die Katastrophe beschützen will, sowie die Tatsache, daß die Regierungen der Welt schon seit einiger Zeit Bescheid wissen und im Himalaya gigantische Archen bauen, wo ein Teil der Menschheit gerettet werden kann.
Um es kurz zu machen: Die erste Hälfte des Films ist der unglaublichste Schwachsinn, den man je gesehen hat – und natürlich absolut brillant. Etwa eine halbe Stunde lang – wir haben Zeit, der Film dauert über zweieinhalb Stunden! – werden die Figuren in kurzen, ominösen Sequenzen eingeführt: Der Schriftsteller und seine Kinder, allesamt so demonstrativ durchschnittlich; einige Wissenschaftler, die uns erläutern, daß „mutierte Neutrinos“ wie Mikrowellenstrahlen funktionieren und den Erdkern zum Schmelzen bringen, und die dann zur Veranschaulichung einen großen Schacht öffnen, in dem Wasser blubbert; ein bizarrer Freund der Apokalypse, der in einem Campingmobil im Yellowstone-Nationalpark haust und von dort aus Aufklärung per Radio und niedlichen Flash-Animationen betreibt; der Präsident der Vereinigten Staaten, der immens müde wirkt und doch, Obama im Blut, immer ganz das Richtige tun will – gespielt von Danny Glover, der natürlich nie zu alt für den, Verzeihung, Scheiß ist.
Dann fängt es an zu krachen, und das Geschehen poltert in uferloser Absurdität über die Leinwand: Jackson und seine Familie rauschen wider jeglicher Plausibilität durch die Katastrophen, die derart gigantomanisch konstruiert sind, daß dabei jegliches Gespür für ihre Auswirkungen verloren geht. Diverse Wolkenkratzer splittern auseinander, Schnitt, Jackson braust mit dem Auto unten hindurch, Schnitt, ein ganzer Stadtteil von Los Angeles versinkt im Meer, Schnitt. Später dürfen Cusack und seine Leute dem Unglück auch per Flugzeug (Sportflieger und Verkehrsmaschine) und Wohnmobil davonjagen, und ein kurzes Stück sogar per pedes. Haarscharf unter dem ganzen Freeway hindurch, der gerade zusammenbricht, ganz eng zwischen den einstürzenden Gebäuden hindurch, extrem knapp der wegbrechenden Landebahn entronnen, und dann noch mit ein wenig Glück zwar mit dem Bus in die Erdbebenspalte gerutscht, aber doch noch mit einer Hand oben festgehalten und hochgezogen.
Das ist freilich alles so haarsträubender Unfug, daß es für jeden absurden Einfall spontanes Beifallklatschen verdient. Wie schon bei THE DAY AFTER TOMORROW dienen die vor der Katastrophe weglaufenden Figuren quasi als Tourguides quer durch die Attraktion, weil ganz ohne menschliche Gesichter der Untergang gar so wenig Thrill bietet. Die Effekte sind größer und noch größer, zehntausend Menschenopfer bleiben stets nur einen Mausklick entfernt, und freilich sieht alles vor allem deswegen so sehr nach Computer und Computerspiel aus, weil uns kein Mensch vernünftig erklären könnte, wie es denn bitteschön realistischer aussehen sollte, wenn der Himalaya überschwemmt wird und das Wrack der Air Force One gegen das Sichtfenster einer gigantischen 100,000-Mann-Arche knallt. Level Drei: Weichen Sie den herabfallenden Lavabrocken im Nationalpark aus und vergessen Sie nebenher nicht, Ihr weinendes Töchterlein zu beruhigen.
Irgendwann kommt dann der Punkt, wo wir des Weltuntergangs müde werden. Es kommt noch eine Welle, dann noch eine, der Flugzeugträger John F. Kennedy knallt fast beiläufig auf das Weiße Haus, nachdem sich der Präsident schwer gefaßt am Telefon von seiner aufgebrachten Tochter verabschiedet hat. Überhaupt sind beständig Figuren damit beschäftigt, sich fernmündlich letzte Worte zu übermitteln, bevor sie sich dem Greenscreen stellen müssen, und dann dürfen zu schön geblasener Musik noch eindringliche Worte über unsere Menschlichkeit verloren werden, bevor der Film dann glaubt, daß wir dem dicken russischen Zyniker mit der katastrophalen Synchro bei seinem Sturz in den Gletscher wirklich hinterherweinen werden.
Nachdem die gesamte Erde von Tsunamis überflutet wurde, erfahren wir noch, daß Afrika verschont wurde: Dryland ist kein Mythos, Mariner, und es liegt da, wo mal die Dritte Welt zu finden war. Den Humanismus hatte Emmerich beim DAY AFTER TOMORROW dann doch überzeugender und organischer eingeflochten. Und letzten Endes zerstört er in den letzten dreißig Minuten Laufzeit hauptsächlich seinen eigenen Film. Kaputtmachen kann er eben wie kein Zweiter.
2012 (USA 2009)
Regie: Roland Emmerich
Darsteller: John Cusack, Woody Harrelson, Danny Glover
🙂