Für eine kurze Zeitlang in der zweiten Hälfte der Neunziger war der Mann ein Wunderautor: Kevin Williamson erschien plötzlich mit dem ironisch-cleveren Script zu Wes Cravens SCREAM, landete einen weiteren Kassenschlager mit seinem Drehbuch ICH WEISS, WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST, und konzipierte die immens erfolgreiche Teenager-Serie DAWSON’S CREEK. Was der Junge anfaßte, wurde zu Geld.
Bei all dem Jubel um das neue Schreibtalent wurde freilich komplett übersehen, daß der Mann seinen kreativen Höhepunkt mit SCREAM schon erreicht und danach kaum mehr etwas zu bieten hatte: Die sagenhaft dämliche Ansammlung von Horrorfilmklischees in ICH WEISS konnte doch unmöglich aus der Feder desselben Mannes stammen, der kurz zuvor diese Genrekonventionen noch so scharf beobachtet aufs Korn genommen und dennoch zu einem gelungenen Slasherfilm rekonstruiert hatte! Aber wo SCREAM sowohl als Horrorfilm wie auch als Film über den Horrorfilm funktionierte, folgte ICH WEISS sklavisch allen Blaupausen, die schon in den Achtzigern eingemottet wurden. Daß Williamsons Figuren Filmtitel erwähnen, wurde als Ironie mißverstanden, obwohl jenseits von SCREAM die bloße Erwähnung von Namen mit keinerlei inhaltlicher Auseinandersetzung einherging. DAWSON’S CREEK strengte sich zumindest an, seine pubertierenden Figuren ernstzunehmen, überlud sie aber mit seifenopernhafter Melodramatik und ließ sie Texte sprechen, die Teenager nur in den Phantasien von viel älteren Autoren äußern.
„Katie, dein Drehbuch scheint mir etwas gar dünn zu sein …“ |
Kurz darauf der banale B-Horror THE FACULTY, wo sich wieder zeigte, daß Williamson gar nicht verstand, was sein SCREAM-Skript auszeichnete: Wieder rannten Teenager durch eine wiedergekäute Handlung, und wieder steuerte das Buch nichts hinzu, was die Klischees brechen könnte. Aber vielleicht war ja gar nicht Williamson die treibende Kraft hinter der genialen Genre-Sezierung SCREAM – immerhin hatte dessen Regisseur Wes Craven nur kurz davor seinen NEW NIGHTMARE inszeniert, in dem sich die filmische Realitätsebene der Freddy-Kruger-Reihe mit der Wirklichkeit der Schauspieler und Macher vermischte; auch hier fand ein Genrefilm statt, der auch gleichzeitig das Genre originell durchleuchtete. Vielleicht war Williamsons Skript einfach nur ein witziger Slasher, bevor Craven dazukam.
Natürlich störte die Banalität von Williamsons Werken niemanden so wirklich, weil der große Reibach weiterging: Mit dem Namen konnte man viel verkaufen. Und so dauerte es auch nicht lang, bis der Autor ein eigenes Skript selbst als Regisseur verwirklichen durfte: Eine Abrechnung mit einer gehaßten Lehrerin seiner Schulzeit, die ursprünglich KILLING MRS. TINGLE hieß und dann im Zuge der Columbine-Tragödie zum etwas harmloseren TEACHING MRS. TINGLE mutierte. Die namensgebende Lehrerin Mrs. Tingle traktiert hier als Mannfrau sämtliche Schüler und Kollegen ihrer Schule – bis bei einer Musterschülerin eine schlechte Note die Bewerbung auf dem College gefährdet und diese zusammen mit zwei Freunden Mrs. Tingle in deren eigenen Haus gefangennimmt, um ihr eine Lektion zu erteilen (auch wenn die Geiselsituation eher durch eine Verkettung von unglücklichen Unfällen als durch Plan entsteht).
„Sie haben sie gefunden, junger Mann! Ich hatte die Armbrust schon den ganzen Tag über gesucht!“ |
In ausgearbeiteter Form ist MRS. TINGLE nur eine Ansammlung von verpaßte Gelegenheiten und schlechten Entscheidungen. Die drei Teenager sind allesamt Abziehfiguren aus einem Fotoroman – die graue Maus mit den guten Noten und den geheimen Wünschen nach einem Freund; die freche Freundin, die immer tut, was ihr gerade in den Sinn kommt; und der Troublemaker, der wenig Zukunftsaussichten hat und sich gerade deswegen natürlich zur Sauberfrau hingezogen fühlt (die genauen Gründe lernt man entweder beim Psychologiestudium oder beim BREAKFAST CLUB). Keiner der drei ist eine wirkliche Figur – sie dienen nur dazu, als Konstellation die Handlung voranzutreiben. Im Gegenzug wäre Mrs. Tingle theoretisch viel interessanter – aber das Skript erlaubt es ihr nicht, menschlich zu sein, sondern besteht darauf, daß die Frau bis zum Schluß ein haßerfülltes, giftspritzendes Ungeheuer bleibt, ohne daß wir tiefere Erkenntnisse darüber gewinnen könnten.
Es bleibt offen, was der Film eigentlich will. Wenn er eine schwarzhumorige Farce sein möchte, warum spielt dann Katie Holmes mit all ihren Joey-Potter-Niedlichkeitsmanierismen die Hauptrolle? Warum ist der Soundtrack dann mit Dawson’s-Creek-Feel-Good-Popsongs zugekleistert? Und warum verpufft die ganze Geschichte zum Schluß in einem völlig konstruierten Happy End? Wenn der Film einfach nur eine geradlinige Komödie sein möchte, warum spielt Helen Mirren dann mit biblischem Ernst, als würde sie eine Shakespearesche Tragödie darbieten – ohne uns irgendeine Art von Freude an ihrer Boshaftigkeit zu erlauben? Warum lotet das Skript dann kaum die Absurdität der Prämisse aus? Und warum ist dann einfach so wenig komisch? Und umgekehrt: Wenn der Film ein Drama sein möchte, warum wird dann jegliche Möglichkeit auf tieferschürfende Erkenntnis mit einem Plot auf Autopilot verbaut? Warum wird dann nie versucht, die Figuren ernsthaft kennenzulernen?
„Schatz, wenn du fertig bist, kannst du dann meine Hausaufgaben auch noch machen?“ |
Viel mehr bleibt zu diesem merkwürdig unaufregenden Filmchen nicht zu sagen. Der Streifen fiel an der Kinokasse durch, ebenso wie Williamsons zweite Fernsehserie WASTELAND nie über die erste Staffel hinauskam. Ein paar Jahre später schrieb er ein Finale für seine Serie DAWSON’S CREEK, mit der er eigentlich schon lange abgeschlossen hatte, und das Skript war ein Schlag ins Gesicht der Zuseher – es wirkte wie seine Rache an den Produzenten, die seine Figuren ohne sein Wohlwollen ab der dritten Staffel weiterbetreut hatten. Eine neuerliche Zusammenarbeit mit Wes Craven, CURSED, war ein müdes und völlig überflüssiges Werwolfgeschichtchen. Derzeit schreib Williamson SCREAM 4. Schön bald wird seine eigene Geschichte interessanter als seine Skripts.
Tötet Mrs. Tingle (USA 1999)
Originaltitel: Teaching Mrs. Tingle
Regie: Kevin Williamson
Drehbuch: Kevin Williamson
Kamera: Jerzy Zielinski
Musik: John Frizzell
Darsteller: Katie Holmes, Helen Mirren, Jeffrey Tambor, Barry Watson, Marisa Coughlan, Michael McKean, Molly RingwaldFSK: 12
Die Screenshots wurden der DVD (C) 2004 Kinowelt Home Entertainment GmbH entnommen.