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Heart Beat (1983)

Das hat man nun davon, wenn man sich bei einem Schundfilmabend das passable italienische Monster-B-Movie DAS ALIEN AUS DER TIEFE ansieht und sich dann ein wenig enttäuscht zeigt, daß der Film im Prinzip viel zu unschlecht für den Abend war: Vorsicht mit dem, was du dir wünschst, denn es könnte in Erfüllung gehen. Schon die DVD-Hülle von HEART BEAT verspricht bislang ungeahnten Filmgenuß: Da steht die Inhaltsangabe in gelben Buchstaben quer über ein Farbphoto gedruckt, als würde man ohnehin gar nicht wissen wollen, worum es in dem Quatsch genau geht. Der junge Trash-Eleve Peter L., ansonsten des Lesens durchaus mächtig, sah sich beim stammelnden Versuch, den Text zu entziffern, prompt ins frühe Grundschulalter zurückversetzt.

Noch vor dem Vorspann läuft eine unbekleidete Frau durch den Wald und wird von einem Ritter in blankpolierter Rüstung verfolgt. Weil der Ritter in Begleitung eines Pferdes ist, hat er einen Geschwindigkeitsvorteil, holt die Frau ein, und schwingt dann mit offenem Visier und weitaufgerissenen Augen seinen dreisternigen Morgenzack, mit dem er die arme Frau ein wenig lädiert. Es ist immer schön zu sehen, wenn Menschen mit Berufen, die sie psychisch sehr belasten, ihren Streß privat abbauen können.

Nach dem Vorspann fängt dann schön langsam die Handlung an. Die Schlüsselwörter des vorangegangenen Satzes sind übrigens weder „fängt an“ noch „die Handlung“ – betonen wir es also noch einmal: schön langsam. Also, wirklich mal ganz gemütlich. Echt jetzt keinen Streß hier. Tief durchatmen. Macht’s euch bequem, Kinder. Setzt euch, nehmt euch einen Keks. Die brauchen hier ein wenig.

Paul (Paul Naschy, der unter seinem bürgerlichen Namen Jacinto Molina hier auch für Buch und Regie verantwortlich ist) bekommt also von einem Arzt erklärt, daß seine Frau Geneviève an einem Herzklappenfehler leidet und dringend Ruhe benötigt. Natürlich hätte der Arzt das auch der guten Geneviève selbst verklickern können, aber dann hätten die Herren nicht so lange über Genevièves Vermögen reden können, über Pauls Landsitz, über die Tatsache, daß Paul Geneviève also zu diesem Landsitz verfrachten möchte, weil sie ja Ruhe braucht, und daß der Arzt das für eine gute Idee hält, Geneviève zu dem Landsitz zu verfrachten, weil die ja Ruhe braucht, und daß Paul aber glaubt, Geneviève erst überreden zu müssen, zu dem Landsitz zu fahren, weil die noch nie dort war und Angst vor besagtem Landsitz hat, und daß der Arzt Paul zuredet, Geneviève zu überreden, zu dem Landsitz zu fahren, weil sie ja Ruhe braucht, und daß Paul gar nicht hinter Genevièves Geld her ist, wie alle immer sagen, sondern daß er nur will, daß es ihr gut geht, und daß er deswegen jetzt mit ihr zu diesem Landsitz … und so weiter und so fort.

In diesem schönen Tempo und mit redundanter Wortgewalt plappern sich die Darsteller also nun durch den Film. Meistens stehen oder sitzen sie dabei irgendwo im Raum, die Kamera ist davor auf ein Stativ geschraubt, und dann werden sie ausgiebig dabei gefilmt, wie sie sich alles dreimal erklären. Wie hieß es früher so schön, wenn Videoclips anmoderiert wurden? In voller Länge ausgespielt! Überraschenderweise sitzen Paul und Geneviève dann auch irgendwann in einem Auto (die lang angekündigte Überredung besteht daraus, daß er vorschlägt: „Laß uns zu dem Landsitz fahren“, woraufhin sie ihn umarmt: „Gut, machen wir“), aber damit durch die Bewegung ja nicht zuviel Adrenalin entsteht, reden sie ganz langsam blümeranten Quark. Paul kündigt mehrfach an, daß er mit Geneviève spazieren gehen will – aber würde es überhaupt zur Dynamik des Films passen, daß die Figuren sich beim Reden auch plötzlich bewegen? Der erste ungeduldige Blick auf die Uhr erfolgte übrigens nach 18 Minuten.

Auf dem Landsitz befindet sich auch Mabile, die alte Haushälterin, und deren junge Adoptivnichte (oder so ähnlich) Julie. Und was machen die beiden? Genau, sie reden, und das, schahaha, in voller Länge ausgespielt: Über den grausamen Vorfahren von Paul, den bösen Ritter Alaric, der damals seine untreue Frau tötete. Ist es womöglich so, daß der vor dem Vorspann gezeigte Ritter exakt dieser sinistre Geselle ist? Puh, wer hätte es kommen sehen.

Es geschehen dann merkwürdige Dinge, und Geneviève regt sich pausenlos auf. Da steht zum Beispiel plötzlich eine Ritterrüstung in ihrem Schrank. Leider ist sie zu sehr damit beschäftigt, sich unter heftigstem Gefuchtel ans Herz zu fassen und schmerzhafte Grimassen zu ziehen, als daß sie überlegen könnte, ob nicht vielleicht einfach eine der anderen Personen im Haus die Ritterrüstung aus dem Wohnzimmer hoch in den Schrank getragen hat. So rudert die arme Frau also wild mit den Armen und läuft im durchschnittlichen Gesprächstempo des Films durch das gesamte Haus, aber obwohl sie den Landsitz keinesfalls nervenschonend findet, kommt sie auch nicht auf die Idee, wieder zurück nach Hause zu fahren. Irgendwann stehen blutbesudelte Gestalten in ihrem Bad, und sie schiebt sich minutenlang durch die Tür, über den Flur, die Treppe herab, durch den Gang, ins Wohnzimmer hinein, immer mit der einen Hand am Herz und mit viel Gekeuche und Gewimmere. Man versucht verzweifelt, sich dabei einen Regisseur hinter dem Monitor vorzustellen, der dann begeistert aufspringt und sagt: „Das war super! Den Take nehmen wir!“. Wahrscheinlicher ist es wohl, daß er einfach darauf gewartet hat, daß Geneviève fertig stirbt, während Geneviève darauf gewartet hat, daß der Regisseur halt endlich mal „Schnitt“ ruft.

Nachdem Geneviève nun also g-a-a-a-n-z l-a-a-a-n-g-s-a-m das Zeitliche gesegnet hat, stellt sich heraus, daß Paul ein Verhältnis mit der 18jährigen Julie hat und die ganzen Schreckmomente eingefädelt hat, um an Genevièves Geld zu kommen. Es hätte eine Überraschung sein können, wenn freilich nicht vorher irgendwann Paul in die Stadt gefahren wäre, um dort eine Geliebte zu besuchen. Und wenn es nicht gelb auf bunt auf der DVD-Hülle gestanden hätte.

Paul hat nun also Streß (nunja, er hat sehr langsamen Streß) mit der Geliebten aus der Stadt, die er loswerden will, damit er mit Julie zusammensein kann. Da sitzt er also vor der guten Frau, die nackt im Bett schläft, und plötzlich (naja, langsam plötzlich) tönt ein innerer Monolog: „Du Hure! Du hast weder Stil noch Klasse!“ Er plant also, das arme Mädchen zu ermorden, aber weil er dafür zu langsam ist, wacht sie vorher auf und er schläft halt stattdessen nochmal mit ihr.

Flott wird jetzt auch noch die Haushälterin erledigt: Der alte Trick mit der gespannten Schnur vor der Treppe. Dann kommt Pauls Geliebte zu Besuch, und Julie hackt ihr eine Axt in den Bauch und dann in den Schädel: Wenn das mal keine Gründlichkeit ist. Die gesammelten Ereignisse lesen sich derweil nun vielleicht so, als würde ständig etwas Aufregendes passieren, aber dem (wohin auch immer) geneigten Leser sei versichert, daß sich die späteren Sequenzen in Sachen Tempo und Adrenalin sehr streng an den Anfangsszenen orientieren.

Julie bringt nun auch noch Paul um, weil sie das Geld für sich haben will und außerdem mit einem Burschen namens Marcel durchbrennen will. Sie wirft Paul also einen Heizstrahler in die Badewanne, es macht ganz langsam zzzzzzisch, und dann sehen wir, wie Pauls Sarg in die Erde herabgesenkt wird, während Julie dazu ein trauriges Gesicht macht. Ende des Films, willkommen zurück im Menü. Puh, wir haben’s überstanden.

Moment mal, Ende des Films? Hatte da nicht die unleserliche Inhaltsangabe noch eine Rache der Untoten versprochen? Schauen wir doch mal nach. In mühevoller Arbeit entziffern wir also die letzten Sätze der Synopsis und stellen fest: Tatsächlich, nachdem Julie Paul ermordet hat, will sie das Haus verlassen, aber eine finstere Macht hält sie zurück – und dann rächen sich die Geister der Verstorbenen. Wie jetzt, echt? Wo war das denn? Nochmal den Film gestartet und nach hinten gesprungen – und wahrhaftig: Während der Beerdigungsszene läßt ein Bug die DVD zurück ins Menü springen, aber wenn man manuell nach vorne springt, dann kann man sich die letzten zehn Minuten noch ansehen. Wir wissen nicht, was heiterer ist: Die Tatsache, daß wir gar nicht böse waren, daß der Film aus ist, und daß wir auch überhaupt keine abschließenden Szenen vermißt haben – oder die Tatsache, daß die Handlung tatsächlich in voller Länge auf der DVD-Box steht? Aber nun, es paßt zum Film: In voller Länge ausgespielt.

Julie packt nun also ihre Koffer und wird aber plötzlich von den Geistern der Verstorbenen durch das Haus verfolgt. Ist vielleicht doch an der Sage etwas dran, daß der Ritter Alanic alle hundert Jahre zurückkehrt, um der Hausherrin den Geraus zu machen? Oh, really? Welch unvorhergesehener Twist! Nachdem wir den Ritter zu Beginn gesehen haben und die Geschichte des Ritters auch eigentlich nur maximal zwei Dutzend Mal erläutert wurde, reagiert man doch mild überrascht, wenn der miesepetrige Ritter plötzlich auftaucht und Julie mit seinem Morgenzack den hübschen Schädel verbeult. Ein Abspann läuft, und mit ihm wächst die Gewißheit, nun tatsächlich den vollständigen Film gesehen zu haben. Welch Gewinn.

„Ich danke dir für den wunderbaren Film“, spricht Peter und hat dabei einen Gesichtsausdruck, als hätte er gerade anderthalb Stunden lang zwei Zementsäcke angestarrt, ob die sich irgendwann doch noch bewegen. Aber nun, was kann man sagen – wir wollten es ja so. Wünsche gehen manchmal in Erfüllung. Und wenn wir schon sonst keine Erkenntnis gewonnen haben, so wissen wir jetzt doch, welch unvorstellbarer Schrecken in Wahrheit hinter den berühmten Worten des wahnsinnigen Kurtz steckt. The horror, the horror. Manchmal ist der Blick ins Herz der Finsternis eben nur eine Laser-Paradise-Veröffentlichung weit entfernt.

Heart Beat (Spanien 1983)
Originaltitel: Latidos de pánico / Cries of Terror / Panic Beats / Frantic Heartbeat
Regie: Jacinto Molina (= Paul Naschy)
Drehbuch: Jacinto Molina (= Paul Naschy)
Kamera: Julio Burgos
Musik: Moncho Alpuente, Servando Carballar
Darsteller: Paul Naschy, Julia Saly, Lola Gaos, Silvia Miró, Paquita Ondiviela
Länge: 88 Minuten
FSK: 18

Dieser Text erschien zuerst bei Mann beißt Film.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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