Auch wenn es nicht in einem Interviewsegment explizit ausgesprochen werden würde, wäre die traurige Wahrheit, die in der Dokumentation IN THE BELLY OF THE BEAST mitschwingt, klar: Der Gedanke, als unabhängiger Underground-Filmemacher Geld zu verdienen und davon leben zu können, ist abstrus. Der Film begleitet eine Reihe von Independent-Regisseuren auf dem Fantasia-Festival ’97 in Montreal und gewährt einen kurzen Einblick in die Hoffnungen und die kollektive Leidenschaft der Filmschaffenden jenseits der Mainstream-Kompatibilität – aber gleichzeitig darunter auch bittere Erkenntnis, daß ihre bedingungslose Hingabe zu ihren Werken über Jahre hinweg sie nicht immer nur an den Rand des Ruins bringt. Sie alle wissen es und begegnen der Tatsache mit Galgenhumor und trotzigem Draufgängertum.
Da ist zum Beispiel Karim Hussain, einer der Organisatoren des Festivals, der hier seinen ersten eigenen Film SUBCONSCIOUS CRUELTY zeigt. Karim redet mit Begeisterung wie ein Maschinengewehr über die gesehenen Filme, über seinen eigenen Film, über das Festival, und über verschollene Werke wie SHIRLEY PIMPLE, den sein Bekannter Demetri Estdelacropolis 1981 begann und aufgrund seiner Heroinsucht nie fertigstellen konnte. Weil sein eigener Film nur im Rohschnitt vorliegt, steht Karim während der Aufführung daneben und improvisiert Geräusche, Musik und Dialoge dazu. Nach der Premiere wandert er nervös vor dem Kino auf und ab, aber keiner spricht ihn auf das bizarre Blutspektakel an. Erst später kriegen wir einen kurzen Austausch zwischen Karim und einem anderen Filmemacher mit. „Was erhoffst du dir für dich selbst nach den dreieinhalb Jahren, die du daran gearbeitet hast?“, fragt der Kollege. „Ich treibe meinen inneren Dämonen aus“, zuckt Karim mit den Schultern. Der Kollege nickt: „Dann ist er besser“.
Ebenso zugegen ist Jim VanBebber, der 1988 mit der Produktion seines zweiten Films THE MANSON FAMILY (zuerst: CHARLIE’S FAMILY) begonn und ihn über die Jahre hinweg nur mühsam fertigstellen konnte, weil ihm stets das Geld ausging. Auf dem Festival 1997 zeigt er einen Rohschnitt seiner krassen Version der Manson-Morde, um wiederum genug Geld für eine Fertigstellung lukrieren zu können. Sein Hauptdarsteller war schon nach dem ersten Drehblock ausgestiegen, aber irgendwie hat VanBebber aus dem über Jahre hinweg gefilmten Material einen adäquat halluzinatorischen, teils sehr verstörenden Film gebastelt. Die Festivalbesucher sind begeistert – und trotzdem konnte VanBebber den Film erst 2003 fertigstellen und veröffentlichen, ganze 15 Jahre nach Beginn der Dreharbeiten.
Auch der britische Filmemacher Richard Stanley taucht auf und schleppt sich mit schiefem Lächeln über ein Karrieretief. Nachdem beim Dreh seines zweiten Films DUST DEVIL die Produktionsfirma pleite ging und er ihn nicht hat fertigstellen können (eine vom US-Verleih umgeschnittene, kürzere Fassung ging kritisch wie kommerziell schnell unter), ereilte ihn bei seinem dritten Film noch mehr Pech: Nach nur vier Tagen am Set von THE ISLAND OF DR. MOREAU (mit Marlon Brando und Val Kilmer) wurde er vom Studio gefeuert. Parallel steckte Stanley etliches Privatgeld in eine neuerliche Bearbeitung von DUST DEVIL, um den Film bzw. seine Vision davon zu retten. „Ich habe mein Apartment verloren, ich werde von Gläubigern verfolgt, meine Freundin hat mir mir Schluß gemacht, ich habe die letzte Zeit bei verschiedenen Leuten auf der Couch gelebt und alle hassen mich“, erzählt Stanley. Auf dem Fantasia ’97 zeigt er seinen Director’s Cut von DUST DEVIL und erzählt von seinem Plan, eine weitere Doku zu machen – „to be a filmmaker again“.
Abenteuerliches wissen auch Todd Morris und Deborah Twiss zu berichten, die ihren Erstling A GUN FOR JENNIFER vorstellen. Bei der Suche nach Geldgebern müssen sie mit einigen eher zwielichtigen Gestalten in Berührung gekommen sein und wurden dann in einem heruntergekommenen Teil der Stadt von der Polizei verhaftet – die ihnen glücklicherweise abkaufte, daß sie einfach nur verzweifelte Filmemacher sind, die nie darüber nachgedacht hatten, mit welchen Organisationen sie sich da einlassen. Der Spanier Nacho Cerdà, der seinen Kurzfilm AFTERMATH vorstellt, scheint bei der Herstellung des Films auf weniger Probleme gestoßen zu sein – aber dafür ruft die abstoßende Nekrophilie-Geschichte beim Publikum viel Unglauben hervor. „What possessed you to make a movie about THAT subject?“, fragt eine Frau aus dem Publikum. „The devil“, antwortet Cerdà, ohne das Gesicht zu verziehen. Eigentlich sehr passend, daß er seitdem mit Karim Hussain gemeinsam bei einigen Filmprojekte innere Dämonen ausgetrieben hat.
Natürlich ist IN THE BELLY OF THE BEAST nur dann wirklich interessant, wenn man einen Bezug zu den Filmemachern und zum Underground-Kino im Allgemeinen hat. Schon die Ausschnitte aus den präsentierten Filmen sind teils nur für Nervenstarke geeignet; die Diskussionen um die Filme halten sich in Grenzen (obwohl es amüsante Momente gibt, wie beispielsweise eine Besucherin, die gegen die gezeigten Filme wettert, obwohl sie keinen davon gesehen hat). Und doch ist es ein Einblick in eine Welt, die völlig abseits vom pseudo-adeligen Glamour der üblichen Filmwelt existiert: Diese Menschen stecken teils auf Gedeih und Verderb ihr ganzes Leben in ihre Filme. Vermutlich träumen sie davon, einmal anständig bezahlte Filmarbeit machen zu können. Aber letzten Endes motiviert sie allein die Vorstellung des Films als solcher. Auch wenn man 15 Jahre an seiner Fertigstellung arbeitet.
Der beste Moment der Doku ist ganz hinten, in einem zufälligen Interviewmoment: Der Regisseur fragt einen heruntergekommenen Besucher des Festivals, welchen Film er sich ansehen will. Der etwas entrückt wirkende Mann erklärt, daß Karim Hussain ein Fan von ihm sei. Es stellt sich heraus, daß es sich um Demetri Estdelacropolis handelt. Ob er noch an SHIRLEY PIMPLE dreht, will der Interviewer wissen. „Er ist schon fertig“, erklärt Demetri, „wir fangen gerade mit dem Sound an“. Dann schlurft er ins Kino: Ein einsamer Sandler mit einer Plastiktüte.
In the Belly of the Beast (Kanada 2001)
Regie: Alex Chisholm
Kamera: Benoît Boucher, Alex Chisholm, Ashley Fester, Darren Heroux
Musik: Mike Cerminara
Länge: 74 Minuten
Die Doku ist auf der Anchor-Bay-Doppel-DVD von Jim VanBebbers THE MANSON FAMILY zu finden.
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