Einer der kreativsten Berufe, die die deutsche Filmbranche zu bieten hat, ist ja der des Filmtitelübersetzers. Was wurden da nicht schon für farblose Originaltitel mit kernigen Germanisierungen bedacht! Wer sich über bunt anmutende deutsche Videotitel aufregt, bringt keinerlei Verständnis für die harte Arbeit auf, die sich so ein Mensch machen muß, um aus dem Regal herausstechende Namen zum Klingen zu bringen. Was soll man auch tun, wenn man fünfhundert Trilliarden Filme hat, in denen sich halt einfach ein paar Leute kloppen, bis der Arzt kommt? Weil bestimmte Schlagworte sich als verkaufsfördernd herausgestellt haben, gab es dann eben beispielsweise ganz viele Django-Filme, die gar keine waren, und noch viel mehr Filme, die das komplette Inventar der Shaolin benannten. „Das Buttermesser der Shaolin“, „Der Fußabtreter der Shaolin“, „Die Nachttischlampe der Shaolin“, und hier nun eben DIE TODESKARAWANE DER SHAOLIN. Nur misanthrop veranlagte Mitmenschen würden sich hier darüber beschweren, daß im dazugehörigen Film weder Shaolin noch eine Todeskarawane auftauchen.
Vielleicht zeigte sich der Mensch, der den Titel getextet hat, auch nur von der Handlung des Films hochgradig verwirrt. Das wäre durchaus verständlich, denn obwohl es im Film eigentlich nur darum geht, daß Meister Wang Yu Rache an bösen Buben üben muß, die einst seinen Freund Master Lo umgebracht haben, schafft es der Streifen, diesen Plot so konfus und unübersichtlich wie nur menschenmöglich zu erzählen. Also, ganz am Anfang wird Master Lo mitsamt einer 25 Mann starken Truppe umgebracht, und dann zieht Wang zehn Jahre später durch die Gegend und wird vom Oberschurken Schuh (oder wie man den schreibt) gewarnt, nicht durch ein bestimmtes Gebiet zu ziehen. Wang geht stattdessen in ein nahegelegenes Dorf, wo die Familie Wan haust, und dann will Schuh die Familie Wan umbringen, und dann gibt es da einen oder mehrere Verräter, und man fragt sich die ganze Zeit, was die Leute, die da auf dem Bildschirm rumwuseln, eigentlich alle wollen. Wie diffizil das Entschlüsseln der Vorgänge sein kann, sei anhand des Klappentextes gezeigt, den ein völlig überforderter Geselle für den VHS-Release des Films in die Tasten kloppte: „Ein wahrer Heldenepos um eine kleine Schar unbeugsamer Kämpfer. Erzogen durch Askese und jahrtausende alte Bräuche, leben nun in ihnen Mannesmut und Tugend, Kriegsgeist und die geheime Kampfschulung des Obersten Shaolin fort. Wer erfüllt die Prophezeiung des alten Klosters?“
Nicht minder verwirrend das Setting des Films, in dem die Menschen in Hütten hausen wie im chinesischen Mittelalter zu Zeiten der Ding-Dong-Dynastie, aber neben ihren Kung-Fu-Künsten, Schwertern und Messern auch gerne Pistolen mit klotzigem Magazin verwenden, die ich ahnungsloser Mensch eher in die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts plazieren würde – irgendein Weltkrieg halt. Ganz sicher über die Zeit waren sich die Macher des Films vielleicht selber nicht, weil zwar noch mit Kerzen und Laternen beleuchtet wird, aber eine der Figuren eine coole schwarze Sonnenbrille trägt.
Nun prügelt sich Wang Yu recht unasketisch durch das Aufgebot an sinistren Schurken, und irgendwann deckt er eine Verschwörung auf, die einer der Wan-Brüder angezettelt hat, um den Rest seines Clans zu dezimieren. Vielleicht ist er einfach der großen Weihnachts- und Geburtstagsfeiern mit der ganzen Blase überdrüssig? Aber nein: Sein Endziel packt er in einen Satz, für den alleine es sich schon lohnt, den Film anzusehen: „Ich will hier endlich der Chef werden!!“
Gekämpft wird nun sehr viel, und gestorben auch ein bißchen, und obwohl das alles mitunter so zusammengeschnitten ist, daß man sich nicht sicher sein kann, wer auf wen schießt, ist die Mixtur aus grobem Schwertkampf und pulvriger Westernballerei ganz kurzweilig. Was vielleicht auch daran liegt, daß die Schauspieler bei ihren Sterbeszenen höchstwahrscheinlich Wetten abgeschlossen haben, wer am auffälligsten das Zeitliche segnen kann: So lautstark röchelnd und mit ausufernder Gestik wird sonst nirgendwo gestorben. Am schönsten macht das einer der Wan-Brüder, der mehrere Minuten lang durchlöchert im Bett liegt und sich aufbäumt und windet und schreit und fuchtelt und dabei dauernd bittet, daß man ihn doch bitteschön sterben lassen soll. Aber gut, in der hier gezeigten Zeit war die chinesische Medizin vielleicht noch nicht fortschrittlich genug, um zu erahnen, daß ein Mensch, der so energiegeladen vor sich hinstirbt, vielleicht noch gar nicht dem Tode geweiht ist.
Wang Yu jedenfalls hat Mitleid und erschießt den Mann gründlich, woraufhin er als Verräter und Mörder gefangengenommen wird und ihm – schlitz! – die Augen ausgestochen werden. Bestimmt hat er aber diverse Asien-Filme gesehen, in denen blinde Kämpfer ganze Armeen zu Schaschlik verarbeiten, und deswegen besiegt er auch ohne Augenlicht den bösen Ober-Wan in einem fiesen Endkampf. Daß der blinde Wang immer mal wieder blinzelt und kurz die zugekniffenen Augen aufmacht, um nirgendwo drüberzustolpern, erklärt vielleicht, warum es für seine Darbietung keine Preise gab.
Wohin der blinde Krieger dann in der letzten Einstellung des Films mit seinen dreiundfünfzig Messerstichen im Körper alleine auf einem Pferd reiten will, war bis Redaktionsschluß leider nicht geklärt.
Die Todeskarawane der Shaolin (Taiwan 1972)
Originaltitel: Iron Fist Adventures
Regie: Li Su
Darsteller: Wang Yu
Länge: 87 Minuten
FSK: 18
—————–
4 8 15 16 23 42