Gelegentlich stellt sich jeder Filmemacher wohl Fragen vom Typ „Warum eigentlich nicht“. So ging es wohl auch Jonathan Hensleigh, Autor und Regisseur der Comicverfilmung THE PUNISHER, und Gale Anne Hurd, die als Produzentin immerhin THE TERMINATOR neben allerlei Unfug auf dem CV stehen hat: Warum eigentlich nicht mal einen total billigen, schnellen Low-Budget-Film drehen? Warum eigentlich nicht mal wieder einen Kannibalenfilm wie damals machen? Warum eigentlich nicht auch mal ohne durchdachtes Drehbuch, erfahrene Schauspieler und kreative Inspiration arbeiten? Warum eigentlich nicht mal ein völlig banales Rip-Off von CANNIBAL HOLOCAUST und THE BLAIR WITCH PROJECT drehen (wo letzterer ja ohnehin den Ansatz des ersteren weiterspinnt)? Ja, warum eigentlich nicht? Hensleigh und Hurd scheinen keine einleuchtenden Gründe eingefallen zu sein, weshalb jetzt ein reichlich müdes Exemplar des hier schon des öfteren ausgeweideten (Bonuspunkte für subtilen Sprachwitz!) Themas vorliegt: CANNIBALS, oder im Original WELCOME TO THE JUNGLE.
Nun waren die beiden genannten Vorbilder ja durchaus ambitionierte Vorhaben: CANNIBAL HOLOCAUST entstand als empörte Reaktion auf das von der Roten Brigade und den politischen Unruhen gezeichnete Italien und die drastische mediale Aufarbeitung des Geschehens; die zweite Filmhälfte dieses wohl einzig intelligenten Beitrags zum Kannibalenfilmsubgenre bestand aus in der ersten Handlungshälfte gefundenem Dokumentarfilmmaterial, das das weitere Geschehen aus Sicht eines Filmteams wiedergab. THE BLAIR WITCH PROJECT war weniger politisch motiviert, spann aber den Gedanken des pseudodokumentarischen Ansatzes so weit, daß der komplette Film nicht nur in diesem Stil inszeniert war, sondern auch als tatsächliche „Dokumentation“ verkauft wurde und – was rückblickend betrachtet eher merkwürdig anmutet – mancherorts auch tatsächlich als solche aufgefaßt wurde (immerhin listete die IMDB die mitwirkenden Schauspieler seinerzeit als verstorben!).
CANNIBALS marschiert nun dieses Terrain ohne weitere Besonderheiten ab: Eine Gruppe von vier Leuten – zwei Frauen, zwei Männer – stolpert in Neu Guinea über die Legende des 1961 verschwundenen Michael Rockefeller, der angeblich immer wieder irgendwo gesichtet wird, und für dessen Auffinden eine hohe Belohnung ausgeschrieben wurde. Der komplette Film ist aus Sicht zweier mitgebrachter Kameras erzählt, mit denen die Gruppe ihre Reise festhält. Irgendwann landen die vier im Dschungel, und dann fallen sie den Kannibalen in die Hände (und Mägen). Wenn ich die Story detaillierter wiedergeben würde, wäre sie dadurch nicht spannender und nicht inspirierter.
Die erste Stunde ist dabei ein recht freudloses Unterfangen, und die Banalität des gezeigten Materials läßt viel Raum für eigene Überlegungen über die Plausibilität der Handlung. Da hocken also ein paar Leute herum, die sich tatsächlich einbilden, daß sie zu viert ohne Karte den seit Jahrzehnten verschwundenen Rockefeller aufstöbern können, was 46 Jahre lang in großangelegten Suchaktionen bislang ohne Erfolg blieb. Es hilft ja nicht gerade, daß die vier Protagonisten sich kaum kennen – nur die beiden Frauen kennen sich von früher, haben einander aber seit 7 Jahren nicht gesehen – und die Landessprache nicht sprechen: Schlechte Voraussetzungen für eine lebensgefährliche Expedition in das Gebiet von Menschenfressern.
Zwei der vier entpuppen sich unterwegs als Spaßtouristen, für die das Abenteuer im Dschungel größtenteils Anlaß zu Alkoholkonsum und Herumblödelei darstellt. Als sie eine Grabstätte des im Dschungel lebenden Kannibalenstamms finden, nimmt einer der Burschen auch prompt einen Totenschädel mit, um ihn später auf eBay verkaufen zu können. Weil sich die anderen beiden Mitglieder der Truppe als moralisierende Spaßbremsen zeigen, trennen sich ihre Wege, und nachdem dann der Grabräuber ein wenig zur „Selbstverteidigung“ in einen aufgebrachten Eingeborenenstamm geschossen hat, wundert er sich, warum er und seine Freundin urplötzlich zur Hauptmahlzeit auserkoren werden. Die beiden Zurückgelassenen versuchen, sich bis zum Ozean durchzuschlagen und in Sicherheit zu bringen – Merke: Flüsse in Dschungeln führen meistens in Richtung Ozean, Trampelpfade im Dickicht mitunter nicht – und stehen dann irgendwann auf einer Anhöhe, von der aus sie den Ozean sehen. Was sie leider nicht sehen, ist das Kannibalendorf, das direkt zwischen ihnen und dem Meer liegt – falls die Kannibalen gerne Hirn essen, dürften sie bei diesen vier Gesellen eher hungrig bleiben.
Nun waren ja auch die zahlreichen Kannibalenklassiker von Lenzi und seinen Brüdern im Geiste mitunter schwer dämlich – das hat man nur immer erst hinterher gemerkt, weil davor Blut, Gedärme und Grausamkeiten in drastischen Mengen über die Leinwand kippten. Will heißen: Möglicherweise ist das Hauptverkaufsargument für Kannibalenfilme weniger die stringente Handlung, sondern eher die Anhäufung von detailliert dargestellten Grobheiten. Da CANNIBALS allerdings auch in dieser Hinsicht recht sparsam ausfällt – bitte jetzt im Lexikon das Wort „Euphemismus“ nachschlagen – bleibt die Frage, was nun der eigentliche „Zieher“ der Films sein soll, unbeantwortet. Ach so, es gibt überhaupt keinen? Naja, warum eigentlich nicht auch mal einen Film machen, den sich kein Mensch anzuschauen braucht.
Cannibals – Welcome to the Jungle (USA 2007)
Originaltitel: Welcome to the Jungle
Regie: Jonathan Hensleigh
Produktion: Bauer Martinez / Valhalla Entertainment
Darsteller: Sandi Gardiner, Callard Harris, Nickolas Richey, Veronica Sywak
Länge: 88 Minuten
FSK: keine Jugendfreigabe
—————–
4 8 15 16 23 42