Mark Knopflers fünftes Soloalbum: Eine gewohnt leise und dennoch spannende Sammlung von musikalischen Kurzgeschichten.
„I’d kill to get crimson on this palette knife“. Ein Maler, der sich nach Farben sehnt. Das Künstlerdasein ist nichts, was man sich aussucht, sondern etwas, das man tun muß: „It isn’t a question of having the choice“. Und dann schreiben müde Kritiker über das Werk, das sie eigentlich gar nicht interessiert: „A hack writer judges / my swipes and my smudges / he doesn’t like pictures with blotches and blots“. Mark Knopfler erzählt auf dem Song „Let It All Go“ nicht von sich selber, sondern skizziert einen fiktiven Maler aus den Dreißiger Jahren, aber zu den Gedanken dieses Künstlers dürfte er – wie jeder Kreative – einen besonderen Bezug haben.
KILL TO GET CRIMSON ist denn auch der Titel des neuen Soloalbums von Knopfler, der schon seit einigen Jahren in produktiver Regelmäßigkeit neue Songs aufnimmt. Nicht, daß das ehemalige Dire-Straits-Oberhaupt früher faul gewesen wäre: Schon zu Zeiten, zu denen er mit „Money for Nothing“ fast unfreiwillig zum MTV-Rockstar wurde und große Stadien füllte, komponierte er nebenher Soundtracks, schrieb Songs für andere Musiker, und ging seiner Vorliebe für Roots-Musik in Country- und Folk-lastigen Nebenprojekten nach. Durch sein Werk zieht sich dabei immer die Konzentration auf das Einfache und Wesentliche – Knopfler schreibt ohne Schnörkel und spielt selbst schnelle Songs mit bodenständiger Ruhe – mitsamt dem sofort vertrauten Spiel seines Stratocasters, das gleichzeitig Wehmut nach der Ferne und ein Gefühl des Heimischen vermittelt.
Knopflers Songs sind dabei zumeist wie kleine Kurzgeschichten, in denen einfache Menschen – oftmals aus ihrer Perspektive geschrieben – gezeichnet werden, quer durch die Geschichte und die Länder. Gerne erzählt Knopfler vom Aufbruch, von den Träumen und den Schwierigkeiten – und dann ebenso oft vom Scheitern. Auch KILL TO GET CRIMSON erweckt wieder eine Reihe gebrochener Figuren zum Leben – sei es nun der einfache Untergebene, der in der lakonischen Räuberpistole „Punish the Monkey“ zum alleinigen Sündenbock wird, oder der junge Mann, der aus Hollywood zurückkommt, weil er es nicht geschafft hat („The Fizzy and the Still“). In „Madame Geneva’s“ berichtet Knopfler von mittelalterlichen Troubadouren, bei denen man sich mitten in London vor der Hinrichtung für wenig Geld ein Lied kaufen konnte. Viele Geschichten sind nur angerissen – wir erfahren nie, warum dem hoffnungsfrohen Schauspieler der Ruhm versagt blieb – aber jede wirkt wie ein Fenster in ein weiteres Leben.
Musikalisch zeigt sich Knopfler behutsam und unaufgeregt wie eh und je: Das Tempo ist verhalten, zu der Grundinstrumentierung Gitarre-Schlagzeug-Bass gesellen sich nur gelegentlich andere Klangfarben dazu – wie zum Beispiel in der Folkballade „Heart Full of Holes“ (dessen mitunter kryptischer Text die Geschichte einer Prostituierten zu erzählen scheint), wo urplötzlich ein Akkordion auftaucht und wie ein Traumbild wieder verschwindet. Das mag Hörern, denen Knopflers Ruhe nicht geläufig ist, oftmals frustrierend langsam und ereignislos vorkommen – gerade die letzten drei Songs bewegen sich nur im Schrittempo nach vorne – aber genaues Hinhören und Eintauchen in die besungenen Welten offenbaren immer wieder feinsinnige Details, spannende Erzählungen – und nicht zuletzt meisterliches Musikantentum: Die altvertraute Band bettet die Songs samtweich ein, während Knopfler selbst so mühelos Gitarrenlinien spinnt, daß es selten auffällt, wieviel Können dahintersteckt.
So ist KILL TO GET CRIMSON, wie schon Knopflers Alben zuvor, wieder ein feines, leises Album, das viel verbirgt. Und in dem eingangs bereits zitierten „Let It All Go“ schlägt er dann auch wieder die Brücke zu den Anfängen: „All passion and lust / is going to end in the dust / but you’ll hang on some government gallery wall“, zeichnet er da das Schicksal des leidenschaftlichen Künstlers. Das hat ihn schon auf dem 1978 erschienenen ersten Album der Dire Straits interessiert: „I’ve got to say he passed away in obscurity / And now all the vultures are coming down from the tree / So he’s going to be in the gallery“, sang er in „In the Gallery“. Zum Glück bekommt Knopfler die Beachtung schon zu Lebzeiten.
Dieses Review wurde zuerst am 4. November 2007 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten veröffentlicht.
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