Uncategorized

City Sleeps: Not an Angel (2007)

Die Stadt schläft zu Emopop-Klängen: Gar nicht übel.

Herr Doktor, was steht heute auf dem Plan? Emopop sezieren? Wie originell! Dann heizen Sie doch bitte mal den Emogenerator an, rekrutieren Sie fünf vorzeigbare Burschen aus der Mall, und machen Sie ein paar Photos für’s Booklet – Sie wissen schon, so ein bißchen sexy und düster. Den Rest des Tages können Sie ja den Golfplatz entlangflanieren.

Wir sind ja schon wieder ungnädig, obwohl wir das gar nicht sein wollen. Muß an den kurzen Tagen oder dem mangelhaften Frühstück liegen. Oder vielleicht an der Tatsache, daß es dreizig Trilliarden Emopop-Bands gibt – ihr wißt schon, Teen-Pop-Punk mit Schminke und Mitsingrefrains – und von denen mindestens die Hälfte bei Trustkill veröffentlicht werden und dann bei mir im Postkasten landen. Wer weiß das schon so genau.

Na schön, der erste Anlauf, die Rezension positiver zu gestalten, ist fehlgeschlagen, aber wer wird denn so schnell aufgeben. City Sleeps, die hier mit einem Debütalbum namens NOT AN ANGEL bei uns anklopfen, sind nämlich durchaus spannender als viele ihrer Kollegen, die da dasselbe Feld beackern. Natürlich sind zunächst mal alle Eckpfeiler des Genres fest am Platz: hymnische Melodien, schnelles Tempo, fette Gitarren, ein Sänger mit hell schmetternder Stimme, und Texte um die Liebe und deren Ende.

Das Prozedere geht hier allerdings abwechslungsreicher vonstatten, als man meinen könnte: Viele Songs haben ganz eigene Texturen, nicht immer hechtet die Band nach dem sich gerade am günstigsten anbietenden Part, und die Produktion – von Goldfinger-Frontmann und The-Used-Produzent John Feldmann – ist sorgsam ausgearbeitet und durchdacht und bietet unter dem radiofreundlichen Geglitzer eine Menge klanglicher Feinheiten. Auch wenn typischerweise der zündendste Song nach vorne gestellt wurde („Prototype“), geht dem vierzigminütigen Album hinten nicht die Luft aus: Es gibt eine feine Ballade („Walker’s Ridge“), schnurgerade Ohrwurm-Rocker („Andrea“) und sogar ein wenig Geschrei („Bones“).

Na, da haben wir ja doch noch mal die Kurve gekriegt. Herr Doktor, machen Sie mal ruhig weiter mit den Emos. Uns gefällt’s ja dann doch irgendwie.

Dieser Text wurde zuerst am 22.11.07 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten veröffentlicht.

—————–
4 8 15 16 23 42

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    Comments are closed.

    0 %