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Sex und noch nicht 16 (1972)

Herzlich willkommen zum dritten Teil der achtteiligen Ingrid-Steeger-Retrospektive, in dem wir uns dem zweiten Teil der dreiteiligen Reihe BLUTJUNGE VERFÜHRERINNEN widmen – und das perfiderweise, bevor wir über den ersten gesprochen haben! Jawollja, erneut gelingt es Genzel, subversiv das brüchige Gerüst der Normalität zu unterwandern und sich erhobenen Hauptes gegen das Establishment zu stellen. Auf der DVD bzw. in der Steeger-Box heißt der Film übrigens nicht BLUTJUNGE VERFÜHRERINNEN – 2. TEIL, wie noch im Kino, sondern spaßeshalber einfach SEX UND NOCH NICHT 16, obwohl jede Protagonistin volljährig ist und das Alter selbiger auch mit einer einzigen Ausnahme überhaupt nicht zur Sprache gebracht wird. Eventuell spielt ja der neue Titel auf die Zielgruppe der Zuseher an, aber wenn die mit 15 und darunter schon Sex haben, warum sollten sie sich dann Ingrid-Steeger-Filme ansehen? Rätsel über Rätsel.

Der Softsex-Streifen wartet mit einer Inhaltsangabe auf, die ich meinen treuen Lesern auch nicht vorenthalten möchte: „Ein Report über junge Mädchen von heute, die ohne Scham die Hüllen fallen lassen, um einen Mann der gefällt zu verführen. Sie machen es nach Lust und Laune im Liegewagen eines D-Zuges, im LKW, im Kollektiv eines Bowlingclubs, in Scheunen. Blutjunge Verführerinnen sind zwar Ausnahmen, trotzdem sollte man die Geschichten zur Kenntnis nehmen.“

Potzblitz! Endlich erfahren wir, was junge Mädchen wirklich machen, und die kurzzeitige Überlegung keimt auf, SEX UND NOCH NICHT 16 gegebenfalls gleich unter der Sparte „Dokumentation“ abzulegen. Aber, ach, es regt sich der Skeptiker in mir. Wieso unterscheidet sich das, was die blutjungen Verführerinnen in ihrer Freizeit machen, kaum von dem, was Schulmädchen, Krankenschwestern, Hausfrauen, Ostfriesen, Bademeister, Skihaserl, Hostessen und Briefträger anstellen, denen ja in den heiteren Siebziger Jahren allesamt auch schon eigene Reportagen gewidmet wurden? Der Verdacht drängt sich durchaus auf, daß Schulmädchen, Krankenschwestern, Briefträger etc. mehr gemeinsam haben, als man annehmen könnte – oder, daß die ihre Verhaltensmuster studierenden Filme bei genauer Betrachtung in Punkto Wissenschaftlichkeit Defizite aufweisen.

Der Film reiht eine lose Folge von Episoden aneinander, in denen blutjunge Verführerinnen in etwa das machen, was man sich angesichts des Titels so vorstellt. Zusammengehalten wird der bunte Reigen vom Gespräch eines Drehbuchautoren mit seiner Sekretärin, die sich gemeinsam eben jene „Kurzgeschichten“ ausknobeln. Da fällt nun also ein blondes Dummchen dem Skilehrer permanent vor die Füße und säuselt ihn dann an: „In der Horizontalen fühl‘ ich mich eben am wohlsten“. Leider wird das mit dem Skilehrer nichts (er weigert sich, ein Präservativ zu verwenden, was er als „Aufwand“ bezeichnet – das dürfen wir gerne als Anregung zur aufklärerischen Diskussion verstehen), aber dafür nimmt sich die junge Dame dann im Liegewagen eines Zuges zwei Kerle zur Brust – nacheinander, versteht sich, denn alles andere wäre ja unromantisch.

Weitere Episoden: Eine Anhalterin wird im Führerhäuschen eines Fernfahrers so – Entschuldigung, aber benennen wir die Dinge ruhig beim Namen – notgeil, daß sie ihm wahrscheinlich innerhalb von fünf Minuten den Sitz vollgetropft hat. Glücklicherweise hat der Fernfahrer einen Kollegen dabei, und so können sie sich abwechseln, wer sich um welche Art von Verkehr kümmert. Apropos Verkehr: Die Episode macht überaus kreativen Gebrauch von plötzlich auftauchenden Verkehrsschildern wie „Bodenwelle“, „Tunnel“ und „Wildwechsel“. Stark gefühlsbetont auch eine Sequenz, in der ein junges Fräulein ihrer halben Kegelmannschaft in der Umkleidekabine nicht nur die Hand schüttelt (auch hier reihen sich die Liebhaber hintereinander – es mutet fast altmodisch an).

Ingrid Steeger selber taucht übrigens nur in der allerletzten Episode auf, in der sie als Au-Pair-Mädchen der Reihe nach Ehemann, Ehefrau und Sohnemann ihrer Gastfamilie zur Entkleidung inspiriert. Zufrieden schließen Autor und Sekretärin somit ihr Werk ab, und dann zieht sich die Sekretärin noch aus und legt sich auf das Bett des netten Schreiberlings – wir sehen also, nicht nur Shyamalan beendet seine Filme gerne mit sensationellen Twists.

Das zu solchen Gelegenheiten stets nüchterne Lexikon des Internationalen Films verwendet zu SEX UND NOCH NICHT 16 übrigens das Wort „primitiv“ und schreibt weiterhin, der Film sei „von anödender Degoutanz“. Da wollen wir auch gar nicht herumdiskutieren. Aber immerhin ist der Film weniger qualvoll als DIE BLONDE SEXSKLAVIN (siehe Teil 2 der Retrospektive), und tut als völlig harmloses Nacktfilmchen dann auch irgendwie gar nicht so richtig weh. Entweder das, oder mein Gehirn ist schon abgestorben.

Sex und noch nicht 16 (Schweiz 1972)
Originaltitel: Blutjunge Verführerinnen – 2. Teil
Regie: „Michael Thomas“ (= Erwin C. Dietrich)
Drehbuch: „Manfred Gregor“ (= Erwin C. Dietrich)
Musik: Walter Baumgartner
Produktion: Avis
Darsteller: Ingrid Steeger, Evelyne Traeger, Christa Free, Rena Bergen, Margrit Siegel
Länge: 78 Minuten
FSK: 16

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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