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Ich – Ein Groupie (1970)

Für Teil 5 der Steeger-Retrospektive übergebe ich das Wort an Christoph Schwarz, der den folgenden Gastbeitrag schrieb.

„It’s closer to your sensibilities.“ Mit diesen Worten, mit denen schon Stanley Kubrick A.I. an Steven Spielberg übergab, vertraut mir Kollege Genzel den 5. Teil der Ingrid-Steeger-Retrospektive an, ICH – EIN GROUPIE. Wohl meint er, dass ich als Musiker mehr über Groupies und das Leben im Zeichen des Rock’n’Roll sagen kann. Doch selbst jemand wie ich, der die Mötley-Crüe-Autobiographie THE DIRT zu seinen Top-5-Büchern zählt, kann von dem Film noch etwas lernen.

Am Anfang herrscht noch business as usual. Die blutjunge und unschuldige Vicky (Ingrid Steeger) lustwandelt im Swingin‘ London der 60er durch den Hyde Park, stößt dort inmitten von Bäumen und Wiesen auf eine vollelektrisch performende Rockband und kann sich nicht mehr losreißen. Als Rocker weiß man natürlich, dass man sich nur eine Gitarre umzuschnallen und in ein Mikrophon zu plärren braucht und schon fallen einem die Mädchen um den Hals. Und weil der Leadsänger ganz offenbar ein echter Rocker ist, nimmt er Vicky auch postwendend mit in die Kommune, wo er sie mit ihrem ersten Joint gefügig macht. High werden ist nämlich was Gutes und Alkohol macht ohnehin dumm, erklärt er ihr.

Die Drogen wirken schnell und die beiden stürzen sich in den gerade beginnenden, monogamen Gruppensex. Jeder vögelt im selben Bett, aber jeder bleibt bei seinem Partner. Tauschvorschläge werden entrüstet abgewehrt. Das wäre ja auch unanständig. Am nächsten Tag natürlich die Frage, die jeder Rockstar kennt: „Liebst du mich?“ Der Leadsänger windet sich raus, haut nach Berlin ab und lässt Vicky sitzen, der Schuft. Die lässt sich jedoch nicht so einfach abwimmeln und bricht zusammen mit ihrer Groupielehrerin Vivian auf, um ihren Sänger zu suchen. Leider reicht das Geld nur bis Amsterdam. Doch die nächste Band ist schnell aufgegabelt, der billige Stoff schnell gekauft und ab geht es ins bürgerliche Zürich. „Dort kann man die besten Geschäfte machen“, weiß Mentorin Vivian. Den Shit ins Höschen gesteckt und am trotteligen Schweizer Zoll vorbeigeschmuggelt und fürwahr, der Deal in Zürich ist schnell gemacht und eine Jugendclubband, die den beiden für eine Nacht eine Bleibe verschafft, ist auch hier prompt gefunden (alle Bands spielen übrigens den selben psychodelischen Bluesrock, und ich glaube, es ist sogar derselbe Song. Eine versteckte Kritik an der Konservativität des Rock’n’Roll?). Hier kommen Vicky ihre in Amsterdam erlernten Skills zugute, hatte doch der dortige Sexualpartner von ihr verlangt „ihn in den Mund zu nehmen“. Und Vicky lernt schnell. Dem Züricher Drummer wird gleich während des Auftritts auf der Bühne der Marsch geblasen (uff, is‘ der bemüht). Die Aftershowparty findet dann in Form einer FKK-Grillerei im Wald statt, wo Vicky dann auch ein ganz freies und spirituelles Naturverbundenheitserlebnis hat – sie badet nackt im See. So stellen sich Spießer wohl das Rock’n’Roll-Leben vor.

Doch wie es der Teufel so will, fahren in dem Moment ausgerechnet die Hell’s Angels auf ihren Motorrädern vor, und die sind ja nicht erst seit Altamont als eher rüde Burschen bekannt. Warum sie alle Hakenkreuzschleifen am Oberarm tragen, wird zwar nicht näher erläutert, aber ich vermute, es soll einfach ihr Bösentum unterstreichen. Jedenfalls wird Vicky brutal aus dem See geschleift, da hat Sich-wehren keinen Sinn. Hier wartet eine Lektion auf uns – wenn man nur genug körperlichen Druck ausübt und lange genug mit seinem Motorrad durch die Gegend fährt, werden alle Groupies zahm.

War der Film bis jetzt kurzweiliger und aufgrund seiner dilettantischen Machart unterhaltsamer Blödsinn, der mit nackter Haut Zuseher ziehen will, wird er ab hier zum Ärgernis, weil er beginnt, sich ernst zu nehmen. Die dunklen Seiten des Groupielebens wollen beleuchtet werden und die Moralkeule schwingt gar heftig. Die Drogen werden härter, die Trips schlimmer, der Sex bleibt nicht nur wahllos, sondern wird auch immer mehr Mittel zum Zweck, und Heroin macht trotzdem immer noch in erster Linie geil und nicht etwa high oder gar tot.

Am Ende will Vicky endlich aus dem Teufelskreis ausbrechen und läuft im Drogenrausch nackt auf die Straße, um viele, viele Ecken, und dann prompt vor ein Auto. Wenn sie dann unbekleidet und im eigenen Blut tot auf der Straße liegt, ist die Botschaft klar – Rock’n’Roll führt zu Drogen, Promiskuität, Kriminalität, Abhängigkeit und konsequenterweise in den Tod. Groupies sind Schmarotzer, die für Geld, Drogen oder ein Dach über dem Kopf mit allen Männern schlafen.

Ansonsten ist halt das Übliche zu bemängeln: Die Schauspieler bewegen sich holprig und sagen ihre Texte auf, das Drehbuch ist voll von Hörspieldialogen, die dir alles erklären, was ohnehin im Bild zu sehen ist, die Figuren sind immer und überall willig, und Inszenierung und Ausstattung bemühen auch jedes letzte Klischée über den Rock’n’Roll und die 60er, das man nur haben kann, wenn man nie dabei war.

Als Film ist ICH – EIN GROUPIE also eine Vorgabe, im Kontext der Zeit gesehen, in der er entstanden ist, wird er schon interessanter. Zum einen sollen nämlich mit dem Tabubruch (nackte Haut und dargestellter Sex) die Menschen provoziert und ins Kino gezogen werden, zum anderen distanziert sich der Film nicht nur von den Taten seiner Protagonisten, nein, er bestraft sie auch noch dafür. Der tatsächlich gezeigte Tabubruch beschränkt sich meist auf nackte Menschen, und wenn schon Sex, dann ist nur die Missionarsstellung erlaubt. Im Kern ist ICH – EIN GROUPIE also gutbürgerlich, spießig und unschuldig, ganz im Sinne seiner Zeit.

Die wichtigste Lektion zum Schluss: Das Beste an solchen Filmen sind Genzels Rezensionen. Deshalb sei für Teil 6 der Ingrid-Steeger-Retrospektive das Wort wieder an ihn übergeben …

Ich – Ein Groupie (Deutschland/Schweiz 1970)
Alternativtitel: Das Mädchen mit dem Einwegticket / Sesso a domicilio
Regie: Erwin C. Dietrich
Drehbuch: Erwin C. Dietrich
Darsteller: Ingrid Steeger, Vivian Weiß, Rolf Eden

Länge: 89 Minuten
FSK: 16

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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