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[Musik] Megadeth: United Abominations (2007)

Die Besetzung wechselt beständig weiter, aber trotzdem haben Megadeth mit „United Abominations“ ihren Kurs wiedergefunden.

Eine Zeitlang standen die Dinge ja gar nicht gut für Dave Mustaine, der einst bei Metallica hinausgeworfen wurde und dann seine eigene große Thrash-Metal-Band gründete: Megadeth. Durch die Achtziger und die erste Hälfte der Neunziger hindurch stieg die Band beständig auf und gewann immer mehr Popularität, aber dann fing sie an zu schlingern. Die Besetzung wechselte ständig, Mustaine schien musikalisch unsicher zu werden, und mit dem Versuch, 1999 den Sound der Gruppe grundlegend zu ändern, scheiterte er völlig. 2002 sah es dann eine Zeitlang so aus, als könne er wegen einer Verletzung am Arm nie wieder Gitarre spielen, und so löste er die Band auf. Ein paar Jahre später tauchten Megadeth überraschenderweise wieder auf, und ihr Comeback-Album THE SYSTEM HAS FAILED war gut genug, der Gruppe danach einen Vertrag mit dem Label Roadrunner zu sichern. Dort erschien nun ihr zweites Album nach der Zäsur – UNITED ABOMINATIONS.

Die Besetzung mag zwar weiterhin eine höhere Fluktuationsquote besitzen als die Belegschaft beim MediaMarkt – vielleicht setzt Mustaine einfach Anzeigen in die Zeitung: „Dreimonatiges Gitarrenpraktikum bei Megadeth zu vergeben“ – und weist nurmehr Mustaine als Urmitglied der Band auf, aber dieser hat dafür mittlerweile sein sicheres Terrain gekonnt abgesteckt und beackert es mit neugefundener Energie. UNITED ABOMINATIONS erfindet kein Rad neu, und es zeigt auch keine neuen Facetten der Band: Das Album bewegt sich auf dem Thrash-Kurs der einstigen Hochzeit der Gruppe, und es schreitet ihn mit kraftvoller Zielstrebigkeit ab. Mustaine ist fucking determined, you better believe it.

Das funktioniert am besten auf „Washington Is Next“, wo die Riffs brettern, der Unterboden wummert und alles präzise mit scharfer Kante geradeaus schießt, und es funktioniert am schnellsten auf „Amerikhastan“, durch das die Band mit Tempo 180 sägt. Auch die anderen Songs funktionieren und können gefallen. Weil Mustaine das Enge-Hosen-Gekreische der früheren Alben gegen ein eher punkiges Raunzen ausgetauscht hat, klingt das Album auch nicht gar so betagt wie die Achtziger-Metal-Exkursionen anderer Bands – auch wenn Megadeth natürlich noch altmodisch genug sind, im Booklet akribisch festzuhalten, welcher Gitarrist an welcher Stelle denn gerade soliert. Einzig die Neuauflage von „A tout le monde“, hier mit Lacuna-Coil-Fronfrau Cristina Scabbia als Klinkenputz-Vehikel für Radiosender neu aufgenommen (der Song war schon auf dem 1994er-Album YOUTHANASIA zu finden), klingt klebrig und fehl am Platze – im Megadeth-Universum ist eben wenig Platz für Sentimentalität, und prinzipiell gar keiner für Wegwerf-Powerballaden.

Sprechen wir doch noch kurz über den Inhalt der Songs. Wie der Name UNITED ABOMINATIONS schon andeutet, will Mustaine politische Inhalte transportieren, und dabei geht es ihm nicht nur um die apokalyptische, blutgetränkte Darstellung der momentanen Weltsituation im Allgemeinen, sondern ganz besonders um die Vereinten Nationen. Unter Verwendung der Jack-Bauer-Figur aus 24 (!!) klären uns die Liner Notes darüber auf, wie dort mit Diskutieren Zeit verschwendet wird, wo doch der Terror überall lauert und ganz bestimmt nicht mitdiskutieren mag: Es sei also Zeit für Aktionen, nicht für Worte, und es müsse hart durchgegriffen werden. Derart als Konzeptalbum gebündelt, fügen sich freilich auch derbe Gewaltphantasien wie im (musikalisch einwandfreien) Opener „Sleepwalker“ irgendwie in den Gesamtkontext ein – und Mustaine läßt wenig Zweifel daran aufkommen, daß er seine reaktionären Ansichten mit Überzeugung vertritt. Das ist schön für ihn, und schön für uns ist es derweil, daß er Musiker geworden ist und nicht Politiker.

Dieser Text erschien zuerst am 11.6.2007 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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