Heute ist Wunschkonzert! Ein Kollege, der für die Seite mannbeisstfilm.de tätig ist (und aus Gründen des Datenschutzes hier nur „Florian F.“ genannt werden soll), trat gestern mit dem Wunsch an mich heran, ein paar weise Worte über den unglaublichen Film NACKT UNTER KANNIBALEN zu verlieren – im Original EMANUELLE E GLI ULTIMI CANNIBALI, was soviel bedeutet wie EMANUELLE UND DIE LETZTEN KANNIBALEN. Trotz großer Sorge um meine rechte Hirnhälfte habe ich mich zum Zwecke eines Reviews-on-Demand am gestrigen Abend also erneut mit dieser boshaften Mutation auseinandergesetzt, die ich mir vor vielen Jahren im Zuge einer „Den-Schlonz-will-ich-endlich-einmal-gesehen-haben“-Umnachtung als Holland-Import erworben habe. Genzel und die Kannibalen: Abgründe tun sich auf.
Unglaublich abgründig ist auch die Karriere des hier zur Debatte stehenden Regisseurs Joe D’Amato, der mit bürgerlichem Namen Aristide Massaccesi heißt und in seiner Laufbahn Dutzende von Billigststreifen abgesondert hat, die vom Western über den Thriller über Softsexfilme bis hin zu Horror, Fantasy, und Hardcore-Pornographie rangieren. Massaccesi verstand sich nie als Künstler, sondern immer nur als Geschäftsmann, weswegen er auch gerne die niedersten Instinkte des Kinogängers bediente, weil da ja bekanntlich das Geld sehr schnell aus der Brieftasche fallen kann. So entstand dann auch EMANUELLE UND DIE LETZTEN KANNIBALEN, ein merkwürdiges Zusammentreffen der BLACK-EMANUELLE-Softsexreihe mit den aufkeimenden Ekel-Exzessen der Kannibalenfilme, in denen durch den Dschungel stapfende Abenteurer in liebevollen Großaufnahmen von Menschenfressern gequält und dann verspeist werden. Die Kombination von heißem Sex und grausigen Gedärmemahlzeiten mag unsereins nicht absolut naheliegend vorkommen, aber für D’Amato war das eine klare Rechnung: Viele Menschen zahlen für nackte Haut, viele Menschen zahlen für Mondo-artige Schockstreifen, also müsste beides in einem Film doch die doppelte Menge an Zusehern anlocken.
Der Film beginnt im Großstadtdschungel von New York – die Gegenüberstellung der Straßenschluchten und des von der Zivilisation unberührten südamerikanischen Dschungels darf in keinem Kannibalenfilm fehlen – wo die Reporterin Emanuelle in einer psychiatrischen Klinik sozusagen undercover als Patient auf der Suche nach aufregenden Stories ist. Als eine eingelieferte Wilde einer Schwester eine Brust abknabbert, wird Emanuelle stutzig. Des Nachts schleicht sie sich in das Zimmer der Patientin, wo sie – im Zuge eines in unseren Breitengraden weniger verbreiteten Begrüßungsrituals – der Frau zärtlich die Schamlippen streichelt und sie dabei fragt, wie sie heiße. Dabei fällt ihr eine Tätowierung überhalb des Schambereichs auf, die sie flugs fotografiert und am nächsten Tag ihrem Chefredakteur unter die Nase hält: Das Tattoo deutet auf einen bislang ausgestorben geglaubten Kanibalenstamm im Amazonas hin! Emanuelle schnappt sich den schlauen Anthropologen Mark Lester und plant mit ihm eine Expedition zu den letzten Kannibalen. Entschuldigung, beinahe vergessen: Vorher schlafen sie noch miteinander. Ach ja, noch etwas hätte ich fast vergessen: Emanuelle schläft zum Abschied auch noch mit ihrem Lebensgefährten in malerischer Kulisse mitten am Hudson River – eine Sequenz, die mit folgendem schönen Dialog eingeleitet wird:
FREUND: Emanuelle, you must be crazy.
EMANUELLE: Maybe I am crazy. But right now, I want to make love.
Lester zeigt der wißbegierigen Emanuelle spannendes Dokumentarfilmmaterial, wo in grobkörnigen Bildern (und schmerzhaften Nahaufnahmen) gezeigt wird, wie ein Kannibalenstamm mit zwei Ehebrechern verfährt: Der Mann wird kastriert, während der Frau die Augen aus dem Schädel gepflückt und wie rohe Eier verspeist werden. Ich darf als Einschub kurz anmerken, daß ich EMANUELLE UND DIE LETZTEN KANNIBALEN nicht dringend als Film für das erste Date empfehlen würde.
Die nächste Dreiviertelstunde schlagen sich Emanuelle und Mark nun zusammen mit diversen anderen durch den Film streunenden Figuren durch den Dschungel, darunter eine junge Nonne, ein Abenteurer-Ehepaar, und eine blonde Frau, deren Aufgabe jenseits der Entkleidung sich nicht vollständig offenbaren will. Die Handlung, wenn wir das im Anfall von Großzügigkeit einmal so nennen wollen, wird dabei alle paar Minuten für ausgiebigste Softsex-Begegnungen unterbrochen: Mark und Emanuelle wälzen sich durch das Zelt, die blonde Frau schaut zu und befriedigt sich dazu selber. Später baden Emanuelle und Isabelle (den Namen der blonden Frau erwähne ich deshalb, weil ich dezidiert darauf hinweisen möchte, daß ich an der Charakterentwicklung Anteil genommen habe) im Fluß und waschen sich gegenseitig ihre primären und sekundären Geschlechtsteile. Die Ehefrau des Abenteurers läßt sich von einem schwarzen Träger beglücken, ihr impotenter Ehemann befingert die schlafende Isabelle zwischen den Beinen. Es ist wahrhaftig eine Expedition, bei der durch die Bank mannigfaltiger Forschungsdrang herrscht.
Dann wird eine ausgeweidete Leiche am Flußufer gefunden. „This place is dangerous“, kombiniert Professor Lester: Es zahlt sich immer aus, wissenschaftlich geschultes Fachpersonal an Bord zu haben. Zurück können sie aber nicht, weil ihnen das Boot gemopst wurde, also stapfen sie unverdrossen durch den Urwald und fallen schön langsam den Kannibalen in die Hände. Die Nonne wird von den Wilden an einen Baum gebunden, wo sie ihr dann eine Brustwarze abschneiden und sie in der Mitte aufschneiden. Ab sofort sollte es unterlassen werden, während der Filmvorführung Nahrung zu sich zu nehmen.
Das Abenteurer-Ehepaar sondert sich von der Gruppe ab und findet ein abgestürztes Flugzeug. Darin versteckt ist ein Stoß Diamanten, nach dem die beiden schon seit geraumer Zeit suchen. Aus Freude ob des aufregenden Fundes entdeckt der Mann seine Potenz wieder, und trotz bereits wahrgenommener Kannibalenbelagerung vergnügen sich die beiden ein wenig auf dem Boden, bis die Wilden dann beide gefangennehmen. Wer hätte das gedacht! Der Mann wird mit einem Seil in der Mitte auseinandergeschnitten (tatsächlich haben die Filmemacher ein Photo der oberen Körperhälfte des Darstellers zwischen zwei Pfähle gehängt), die Frau wird oberhalb ihrer Vagina aufgeschnitten und ausgeweidet. Warum sehe ich mir das doch gleich wieder an? Richtig: Damit ihr das nicht tun müßt.
Vergessen wir mal das übrige Kuddelmuddel und die völlig nackte Emanuelle, die zum Schluß mit einem Gewehr in den Kannibalenhaufen ballert: Die Kombination von Erotik und Ekel ist verstörend. NACKT UNTER KANNIBALEN ist ein Hybrid, der nicht funktioniert und nicht funktionieren kann: Es ist beinahe so, als würde einen der Film dafür bestrafen wollen, daß man sich gerade eben noch von der nackten Haut hat anheizen lassen. Die Gründe, warum sich ein Zuseher einem der beiden Genres widmet, sind so unvereinbar, daß sie in der Kombination in jedem Fall nur unangenehme Beklemmung hervorrufen. D’Amatos Film ist in der Hinsicht ein kompletter Tabubruch, weil er den Zuschauer in jedem Fall als Voyeur teilhaben läßt, die Darstellung von Sexualität aber auf die selbe Ebene zieht wie die Grenzerfahrung, seine Nerven an grausamen Mordsequenzen testen zu wollen. Mit anderen Worten: Der Film tut so, als würde beides das gleiche Bedürfnis ansprechen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang auch die – allen BLACK-EMANUELLE-Filmen und den meisten D’Amato-Erotikgeschichten gemeinsame – Chiffrierung der Sexualität als etwas Dunkles, Verbotenes. Das fängt mit der Figur der Emanuelle selber an, die als dunkelhäutiges Exotikum die Expedition und den Zuseher auf eine merkwürdige Reise in die verschiedenen Formen der Sexualität führt. Beinahe keine der Sexszenen kommt ohne den Tabubruch aus: Voyeurismus spielt eine große Rolle (Isabelle beobachtet Mark und Emanuelle, der gehörnte Ehemann beobachtet seine Frau und den schwarzen Träger), ebenso wie das Spiel mit dem Verbotenen (natürlich sehen wir auch die junge Nonne irgendwann ohne Kleider) oder das Element der Aggression (die Ehefrau des Abenteurers wird sexuell stimuliert, als sie den schwarzen Träger beim Reinigen seiner Waffe beobachtet!). Daß die drastischen Angriffe der Kannibalen primär auf die Genitalien abzielen, rückt die Sexualität um ein Vielfaches ins Eck des Abartigen. Ohne die Gewalt hätte der Film als Darstellung sexueller Phantasien (und somit als Ventil für selbige) funktionieren können, mit den Blutexzessen verbunden allerdings wird die Gesamtdarstellung der Sexualität zur reinen Perversion.
Für D’Amato schien die Rechnung jedenfalls aufgegangen zu sein: Er ließ eine Handvoll weiterer Erotik-Horror-Mutationen folgen, darunter den komplett schizophrenen PORNO HOLOCAUST, der Hardcore-Sex mit Zombie-Horror vermischt (und das, man glaube es uns unbesehen, muß man nicht sehen). Egal: NACKT UNTER KANNIBALEN bleibt ein unglaubliches Stück Trivialschund, das so nur in den Abgründen der Exploitation-Grenzgänge der Siebziger Jahre entstehen konnte. Vielleicht können wir D’Amato für das Experiment dankbar sein: Nochmal probiert das wohl keiner. Deckel drauf, zusperren und wegschließen.
Nackt unter Kannibalen (Italien 1977)
Originaltitel: Emanuelle e gli ultimi cannibali
Alternativtitel: Emanuelle und die letzten Kannibalen / Emanuelle and the Last Cannibals / Trap Them and Kill Them / Emanuelle y Los Ultimos Canibales
Regie: „Joe D’Amato“ (= Aristide Massaccesi)
Darsteller: Laura Gemser, Gabriele Tinti, Susan Scott, Donald O’Brien
Länge: 85 Minuten
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