Das Herzstück des Films ist eine Rede: „Gier ist gut“, erklärt der skrupellose Broker Gordon Gecko einer Versammlung von Aktionären. „Gier ist richtig. Gier funktioniert.“ Die Ansprache und ihr Mantra – das Feiern der Gier: Gier ist gut – bringen die Profitsucht der Achtziger, die unbarmherzige Jagd nach mehr in den Reagan-Jahren präzise auf den Punkt, aber Geckos Rede ist in ihrer Polemik so gut, daß sie selbst den Zuseher einwickelt. Michael Douglas, der Gecko als charmanten, aalglatten, rücksichtslosen und kaltherzigen Charismaten spielt, war nie besser als in diesem Film, und er nahm dafür einen Oscar mit nach Hause.
Schon der Beginn von Oliver Stones WALL STREET ist bösartig: Zu romantisierten Bildern des Empire State Buildings – dem protzigen Symbol des Kapitalismus – singt Frank Sinatra „Fly me to the moon / And let me play among the stars“. Ein naiver Song aus den Fünfzigern, dessen Eingangszeilen hier das blinde Streben nach oben versinnbildlichen.
Sich unter die „Stars“, die Börsenlegenden, zu mischen, will auch der junge Broker Bud Fox (Charlie Sheen), dessen Hunger ihm nach monatelangen Versuchen eine Fünf-Minuten-Audienz bei dem berüchtigsten aller Wall-Street-Haie, Gordon Gecko, verschafft. Weil Buds Vater (Martin Sheen, tatsächlicher Vater von Charlie) im Vorstand einer Fluggesellschaft sitzt, kann Bud Gecko gewinnbringende Insiderinformationen zuspielen. Gecko – der in dem ambitionierten Jungen wohl einerseits etwas von sich selber sieht, andererseits dessen Blauäugigkeit auszunutzen weiß – nimmt Bud nach und nach in seinen inneren Kreis auf und verlangt dafür von ihm, ihm mehr und mehr Insiderinformationen zu beschaffen. Das Beschaffen und Anwenden solcher Informationen ist strafbar, aber in einer Welt, in der innerhalb von Minuten Millionenprofite angehäuft oder ebenso hohe Verluste eingefahren werden können, überstrahlt das Versprechen jedwege Bedenken über Illegalität oder Fragen der Moral. Bud ist von Geckos Charisma völlig geblendet – Stone zeigt uns das überdeutlich in einer Szene, in der Gecko aufsteht und Bud von (völlig artifiziellem!) weißem Licht geblendet seine Sonnenbrille aufsetzen muß.
Der Bruch geschieht, als Bud Gecko die Fluggesellschaft seines Vaters verkaufen will. Buds Absichten sind nobel: Er will die Profite der Aktionäre maximieren, er will die vor sich hindümpelnde Fluggesellschaft weit in die schwarzen Zahlen hieven. Nach dem Kauf aber liquidiert Gecko die Firma: Er verkauft die Einzelteile und löst den Pensionsfond von $75 Millionen auf.
WALL STREET ist kein einfaches Moralstück, auch wenn die Geschichte so strukturiert ist. In einer Schlüsselszene stellt Bud Gecko zur Rede und fragt ihn, wieviel genug ist. Gecko kann darauf nicht antworten. Seine Antworten führen das Prinzip des bodenlosen Anhäufens ad absurdum: „1% der Einwohner dieses Landes besitzen über 50% davon,“ erklärt er, und führt ein Gemälde vor, das er vor langen Jahren für $6000 gekauft hat und das jetzt das hundertfache wert ist. „Die Illusion wurde Realität: So funktioniert der Kapitalismus.“ Für ihn gibt es überhaupt kein Konzept von „genug“ oder „nicht genug“ – die Beschaffenheit der Welt rechtfertigt seine Existenz und sein Handeln; die Jagd nach noch mehr ist für ihn nur ein Spiel, ein Adrenalinkick. „Besser als Sex,“ erzählt er von seinem ersten $800.000-Geschäft.
Bud steht gewissermaßen zwischen zwei Vaterfiguren: Dem verführerischen Gecko als Mentor auf der einen Seite, seinem richtigen Vater auf der anderen. „Ich gehe nicht mir einer Hure ins Bett und wache auch nicht neben einer Hure auf,“ erklärt letzterer. Buds Vater hat ein Wertesystem, das nicht der Profitmaximierung als oberstem Prinzip untersteht, und findet es wichtig, etwas zu erschaffen, als nur mit dem Tun anderer Leute eigenen Profit zu machen. Während aber die Dialektik zwischen beiden eindeutig scheint, tritt Gecko immer als der interessante, faszinierende Anführer auf, während Buds Vater mit seiner Fluglinie wie ein Nebengedanke wirkt: Geckos Verführung macht Spaß, sie wickelt auch uns ein und scheint nur in ihrer Unbegrenztheit oder in ihrer völligen Unmoral verwerflich zu sein – nicht in ihrem grundlegenden Ansatz.
Es gibt noch eine dritte Vaterfigur im Film: Ein alter Broker namens Lou Mannheim (Hal Holbrook), der Bud manchmal beiseite nimmt und versucht, ihm warnende Worte mitzugeben. Mannheims Weisheiten scheinen aufgesetzt, fehl am Platze, aber das ist nur ein weiterer Beweis dafür, wie perfekt uns Gecko verführt: Die Worte der Vernunft erscheinen hier wie Anachronismen. „Der Charakter eines Menschen ist es, der ihn davor bewahrt, in den Abgrund zu fallen, in den er blickt,“ erklärt Mannheim (nicht in diesem exakten Wortlaut), aber Bud versteht nicht, was er meint. Mannheim repräsentiert zudem Stones eigenen Vater, der als Broker an der Wall Street tätig war und wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten von der Gier überholt wurde. Der Film ist Stones verstorbenem Vater gewidmet.
WALL STREET funktioniert in all seinen Elementen: Stones Regie und Kameraführung ist völlig ruhelos, wie die Figuren immer angetrieben, weiter zu hetzen. Michael Douglas – seinerzeit noch als Produzent erfolgreicher als als Schauspieler – spielt Gecko so überzeugend, daß die Rolle für ihn karrierebestimmend wurde. Das reale Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Charlie und Martin Sheen gibt ihren gemeinsamen Szenen im Film zusätzliches Gewicht. Vielleicht ist Charlie Sheen kein Schauspieler von Weltklasse, aber seine gewisse Naivität einserseits und seine unbedingte Entschlossenheit anderseits lassen Bud Fox absolut glaubwürdig erscheinen. In Nebenrollen sind Charakterdarsteller wie James Spader, Terence Stamp, John C. McGinley und Sean Young zu sehen.
Die Frauenfiguren sind – wie so oft bei Stone – zweitrangig, aber ihre wenig Eindruck hinterlassende Präsenz paßt zu dieser testosterongesteurten Welt, in der die Frauen entweder als kurze Vergnügung oder als langfristigere Einrichtungsgegenstände verstanden werden. Daryl Hannah taucht als Innendekorateurin in Buds Leben auf, aber sie verläßt es spurlos wieder, als er sich mit Gecko überwirft: Sie will kein Leben, in dem man nicht mehr weiter nach oben streben kann.
Man muß kein Börsenkenner sein, um die Handlung des Films zu verstehen. Die Details mögen für den Laien verwirrend sein – das Geschehen an der Börse wirkt absolut authentisch – aber die Motivationen und Ziele sind immer klar. Die Gier scheint durch alles hindurch. Und Stone predigt nicht, sondern führt uns in eine Welt, die selbst uns als Zuseher manipuliert: Wir sehen Buds Läuterung, das Ende seiner Wall-Street-Karriere, aber Geckos Bestrafung bleibt offen. Seine Welt wird weiter bestehen, und sie fasziniert uns nach wie vor.
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NATURAL BORN KILLERS: Schlangen in einer wahnsinnigen Welt
Wall Street (USA 1987)
Regie: Oliver Stone
Drehbuch: Stanley Weiser, Oliver Stone
Produktion: 20th Century Fox
Darsteller: Michael Douglas, Charlie Sheen, Daryl Hannah, James Spader, Hal Holbrook
Länge: 121 Minuten
FSK: 12
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