Uncategorized

Die sieben Männer der Sumuru (1969)

Jess Franco ist ein Besessener. Die IMDB listet 187 Filme, bei denen er seit 1957 Regie geführt hat – alleine 1972 erschienen 10 Filme, die seinen Namen trugen. Unter Dutzenden von Pseudonymen ist er als Regisseur, Autor, Kameramann, Schauspieler, Cutter, Musiker und Produzent tätig. Mitunter hat Franco an einem Set gleichzeitig zwei Filme gedreht, und der Produzent des ersten erfuhr erst durch das Plakat für den zweiten – selbe Cast, selbe Crew, gleiches Set – warum so viel an Negativmaterial verbraucht wurde. Franco hat Abenteuerstories, Krimis, Komödien, Actionstreifen, Liebesgeschichten und Sexfilme gemacht, aber weil er bekenndender Voyeurist ist und das Filmemachen an und für sich ihm wichtiger ist als das Ergebnis, wird jedes seiner filmischen Unterfangen ein bizarrer Trip durch sexuelle Obsessionen, gefiltert durch – nicht zuletzt dank stets unzureichender Budgets – horrendes filmisches Dilettantentum und hanebüchene Geschichten auf der einen Seite sowie einem Interesse an Kunst, Popart, Jazz und Trivialkultur auf der anderen. Will heißen: Hochinteressanter Trash.

DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU ist quasi eine Fortsetzung von Lindsay Shonteffs Sixties-Zeitkapsel SUMURU – DIE TOCHTER DES SATANS, aber abgesehen von der namensgebenden Sumuru und der Tatsache, daß sie von Bond-Girl Shirley Eaton gespielt wird, haben die Filme nicht viel miteinander zu tun. Im vorliegenden Film herrscht Sumuru über eine Stadt (Festung? Landschaftsstrich? Kulisse?) namens Femina, von wo aus sie ihre Amazonenarmee in die Welt schickt, um die Männer zu unterjochen und große Geldsummen für ihre Spesen zu erpressen. Derzeit hat sie das Töchterlein eines Großbankiers eingesperrt, der nun flugs einen Privatdetektiv (Agenten? Sicherheitschef? Mann für’s Grobe? Arbeitsloser Schauspieler?) namens Jeff Sutton anheuert, um nicht die verlangten dreizigtausendfünf Trilliarden Dollar bezahlen zu müssen.

Sutton inszeniert nun einen Bankraub, der ihm angebliche 10 Millionen Dollar verschafft (die er dem netten Bankier, der übrigens von Walter Rilla gespielt wird, auch sofort wieder unter der Hand zurückgibt). Die Kunde über seinen plötzlichen Reichtum tritt in die Welt, und schon entsendet Sumuru ihre Frauen, um sich das Geld unter den Nagel zu reißen. Wer jetzt genau warum wohin entführt wird, fliehen kann, dank gieriger Mafiabosse wieder zur Tat schreiten muß und schlußendlich mit drei willigen, begattungsreifen Frauen im Hubschrauber die Vernichtung der Stadt Femina begutachten darf, sei an dieser Stelle nicht näher erläutert.

Daß die Handlung kompletter Schmumpf ist, hätten wir also abgehakt. Daß der abschließende Angriff auf Femina dank Studentenfilmbudget (Produzent Harry Alan Towers sollten wir auch mal eine Retrospektive gönnen!) völlig lachhaft wirkt, sei noch hinterhergeschoben. Die Waffen haben nicht mal Platzpatronen, also wedeln die Mädels nur mit ihnen im Kreis. Und weil Explosionen teuer sind, gibt’s nur gelben Rauch. Irgendeine Foltermaschine stellt etwas sehr schmerzhaftes mit den darunterliegenden Menschen an, aber es müssen wohl radioaktive Strahlen oder telepathische Übertragungen von Wörtherseefilmen sein, weil nichts Sichtbares aus der Maschine herauskommt, aber jeder das Gesicht verzieht.

Aber Franco wäre ja nicht Franco, wenn der Film nicht zumindest streckenweise wie ein Fetischmagazin inszeniert wäre. Schon zu Beginn windet sich ein fast nacktes Mädchen auf nebligem Boden in einer Art durchsichtigem Netzkleid – warum eigentlich? Sachdienliche Hinweise bitte an die Redaktion schicken. Die Amazonenarmee – ohnehin eine körpergewordene Emanzipationsangst des Schundautors Sax Rohmer – tritt mit körperbetonten Lederklamotten und stets erigierten Waffen auf. Eine Untergebene Sumurus trägt ein Y-förmigeres schwarzes Kleidungsstück, das notdürftig nur ihre Vorderseite bedeckt. Die durch ein Nervengas willenlos gesprühte Bankierstochter wird in einem Glaskasten gefangengehalten und trägt Gaffertape auf dem Mund. Und Sumuru spricht zu ihren Mädels über ein Mikrofon, das etwas unverborgen Anatomisches an sich hat. Es ist eine wahre Freude.

In diesen Sequenzen mutiert sich der Film zu einer erotisierten Pop-Art, in der in teils komplett artifiziellen Bildern und Einstellungen das Bizarre zelebriert wird. Abgesehen von ein paar blanken Brüsten und den visuellen Suggestionen bleibt der Film dabei einigermaßen züchtig; die Grobheiten hat sich Franco bekanntlich für seine Frauengefängnisfilme aufgehoben. Gut wird der Film dadurch nicht, aber der francophile Zuseher erwartet ja auch nicht unbedingt Qualität im handelsüblichen Sinne. DIE SIEBEN MÄNNER DER SUMURU ist nie so unglaublich und abgefahren wie Francos bester Kultschund (DER TEUFEL KAM AUS AKASAWA!), aber das Interessante an dem Mann muß man sich eh mühsam aus seinem Gesamtwerk herausfiltern.

Die sieben Männer der Sumuru (Deutschland/Spanien/USA 1969)
Originaltitel: The Girl from Rio
Regie: Jess Franco
Drehbuch: Peter Welbeck (= Harry Alan Towers), Karl Leder
Produktion: Terra Filmkunst GmbH / Ada / Udastex
Darsteller: Shirley Eaton, Richard Wyler, George Sanders, Maria Rohm, Walter Rilla
Länge: 84 Minuten
FSK: 16

—————–
4 8 15 16 23 42

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    Comments are closed.

    0 %