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Michelle Hunziker: Lole (2006)

Everything but the music

Model macht Musik: Michelle Hunziker veröffentlicht ihr erstes Album LOLE. Ein offener Brief an die gute Michelle.

Liebe Michelle!

Vielen Dank für die Zusendung deines neuen Albums LOLE, das ich gestern als freudige Überraschung in meinem Briefkasten finden konnte. Es ist ja dein erstes Album, und weil du mich ja als stets ehrlichen Kritiker schätzt, gebe ich dir auch gerne Rückmeldung.

Also, prinzipiell finde ich es toll, daß du dich nach neuen Tätigkeitsfeldern umsiehst. Du arbeitest als Model, als Moderatorin, in der Werbung, sprichst fünf Sprachen und hast schon in zwei Kinofilmen mitgespielt. Und jetzt ein Album! Wo nimmst du nur die Zeit her?

Zunächst war ich von deinem Album auch total begeistert. Auf dem Frontcover lächelst du so nett. Hinten drauf ist so ein etwas geheimnisvolleres Bild, ein bißchen artsy, aber sehr sexy. Und dann das Booklet! So viele schöne Fotos! Groß und klein, schüchtern und frech, die ganze Palette. Gut gefällt mir ja auch, daß man das ganze Booklet zu einem großen Poster auseinanderfalten kann. Für das hast du dir auch ein besonders fesches Foto ausgesucht. Dem Album liegt da auch noch so eine Silberscheibe bei, und darauf ist diese coole Foto-Slideshow zu finden. So viel Michelle hatte ich noch nie auf einmal! Der Screensaver brachte leider nur meinen Explorer zum Absturz, aber ich bin überzeugt, daß du auch dafür sehr geschmackvolle Bilder ausgewählt hast.

Aber dann hat mich ja ein Freund darauf hingewiesen, daß auf diesem Silberling auch noch so etwas wie Musik sei. Das hab ich mir dann der Vollständigkeit halber auch noch angehört und – oh weh! Michelle! Das wäre doch nicht nötig gewesen. Das fing ja ganz nett an mit „Get Out“ – komischer Titel für eine Einladung zum Hören, oder? – so ein paar Gitarren und ganz luftleichter Pop. Ideal zum nebenher bügeln oder (ich hab’s gleich ausprobiert!) Geschirr abwaschen. Aber dann kommt ja dieser müde Dance-Song, den die Leute ja schon als Single nicht wirklich haben wollten: „From Noon Till Midnight“. Da geht’s ja um Sex, und zwar den ganzen Tag lang, aber warum keuchst du den Text so unmotiviert wie ein Heizungsableser? Ich hab mir ja das Video auch noch angesehen (auf YouTube – macht dir sicher nichts aus), und das hat ja auch irgendwie nur marginal mehr Sex als eine Waschmaschine von Miele. Sorry.

Aber die richtigen Grausamkeiten kommen ja erst noch! Musikalisch hast du ja schon so ein paar verdächtige Tätigkeiten auf dem Lebenslauf – deine Moderation von DEUTSCHLAND SUCHT DEN SUPERSTAR zum Beispiel, deine Ehe mit Eros Ramazotti, oder die Tatsache, daß du in Italien mit dem Musical THE SOUND OF MUSIC auf der Bühne standest. Ich hab‘ da einfach einen empfindlicheren Kitschsensor als du, aber das macht dich ja jetzt nicht zum schlechten Menschen. Jedenfalls hör‘ ich da so eine fürchterliche Coverversion von Fleetwood Macs „Little Lies“, so als Euro-Disco-Dancefloor-Gestampfe, auf daß die Rinder nach Hause kommen. Magst du Fleetwood Mac nicht? Und dann diese klebrige Ballade „Please Come Back“, die du mit Timothy James singst (über den weder ich noch die Person, die deine Presseinfo schreibt, mehr wissen). Ehrlich, den Song schicke ich meiner Ex-Freundin nur, wenn ich sicherstellen will, daß sie nie wieder anruft.

Der Rest ist halt total belanglos. So viel Geschirr hab‘ ich gar nicht! Das ist eben Musik für Leute, die eigentlich gar keine Musik mögen. Man könnte statt der CD auch ebensogut einen Staubsauger kaufen – die Mucke ist einfach nur Gebrauchsgegenstand. So unaufregend produziert, so banal dahinplätschernd, so sinn- und überraschungsfrei. Und deine Stimme – wie drücke ich das jetzt nett aus? – erinnert mich ja auch nur an Lagerfeuerabende auf Landschulfahrten. Paßt aber anderseits hervorragend zu den gesammelten textlichen Flachheiten, die sich alle so brav reimen: place, face, anymore, before, away, stay, Lirum, Larum, Löffelstiel.

Ich weiß schon, das ist alles sehr hart von mir. Aber vielleicht verletzt es dich gar nicht so, weil die Musik ja eh nicht von dir ist. Für den Großteil der Songs hast du dir das Valium-Team Valicon-Team geholt, die ja auch schon für Silbermond und Jeanette Biedermann (bestell‘ ihr doch bitte liebe Grüße!) Songs von der Stange fabriziert haben. Und daß du die amerikanische Songwriterin Jewel dazu kriegen konntest, dir einen Song zu schreiben, ist echt erstaunlich, aber angesichts der dahingetexteten Jungmädchenpoesie hoffe ich, sie war nicht allzu teuer.

Mehr habe ich jetzt eigentlich nicht zu sagen. Ich wünsche dir trotzdem total viel Erfolg mit deiner Karriere, Michelle. Und das Album hat mir ja auch total gut gefallen – bis auf die Musik halt.

Liebe Grüße,
dein Christian

Dieser Text erschien zuerst am 20.12.2006 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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