Prähistorisches Viehzeugs
Mastodon zeigen auf ihrem dritten Album BLOOD MOUNTAIN der Metal-Gefolgschaft neue Wege.
Das ist ja immer so eine Sache, wenn man Aufregendes von einer neuen Band berichten will und dann beim Startschuß an der weißen Linie stehenbleibt, weil man gar nicht weiß, wie man eigentlich anfangen soll. Im Falle Mastodon und ihrer neuen CD würden sich gegebenfalls folgende Alternativen anbieten: a) „Der Blick zurück als Schritt nach vorn“ — b) „Die konservative Metalgemeinde im Umgang mit der Originalität“ — c) Wir beginnen das Review mit dem Wort „Endlich!“ — d) Der reichlich unerotische Beginn mit Bandgeschichte, Musikgeschichte, Reviewergeschichte und der schlüssigen Feststellung, es sei nun ein neues Album erschienen — oder vielleicht e) Was ist eigentlich ein Mastodont?
Also gut: Mastodonten sind, wie uns die mithin als Enzyklopädie wahrgenommene Website Wikipedia erklärt, prähistorischen Mitglieder zweier Rüsseltierfamilien. Wir stellen uns kurz ganz dumm und wundern uns, warum diese Information wichtig für die Rezeption der hier besprochenen Musik wichtig sein könnte. Nun: Im Gegensatz zu der längst ausgestorbenen, schwerfälligen Elephantenabart ist Mastodon erstens noch ganz frisch, zweitens sehr beweglich und drittens durchweg zukunftsträchtig.
Endlich! Also: Mastodon lieben Prog-Rock – wahrscheinlich den ganzen Katalog, von Thin Lizzy bis King Crimson. Das bedeutet aber nicht, daß ihre Musik im Blick zurück erstarrt ist – im Gegenteil: Der Prog-Metal der Gruppe gibt neue Impulse, stößt neue Türen auf und kann immer wieder überraschen. Mitunter spielt das Quartett derart eifrig, als handle es sich bei Heavy Metal um eine olympische Disziplin, aber Mastodon sind keine Angebertruppe: Durch die schnellen Läufe, die ständigen Tempiwechsel, das rasante Klanggewitter wird ein beinahe hypnotischer Effekt erzielt. Pathosbremse: Mastodon klingen ganz einfach aufregend, sehr eigen, und bleiben durchweg spannend.
Dabei sind vorne nicht einmal die nachhaltigsten Tracks zu finden: „The Wolf Is Loose“ und „Crystal Skull“ preschen einfach los und gewittern kräftig über das Feld. Dann werden verschlungenere Pfade beschritten: Das ruhigere „Sleeping Giant“ ist beinahe melancholisch, das zappelige „Circle of Cysquatch“ gipfelt in metallisch verzerrten Stimmen. Und dann folgt das Wahn-sinnige „Bladecatcher“, das uns kakophonische Effekte um die Ohren knallt und wie eine Mischung aus Painkiller, einer Mike-Patton-John-Zorn-Kollaboration und Robert Fripps schrägsten Gitarrenexkursionen klingt. Und da sind wir erst bei der Hälfte des Albums.
Das mag alles schwer verdaulich klingen, aber Mastodon bleiben stets greifbar, immer nachvollziehbar. Auf einer Lauflänge von ungefähr 50 Minuten geht den Burschen auch nie die Luft aus: Selbst hinten sind immer wieder Highlights zu finden, wie das Breitlandwand-Spektakel „Siberian Divide“.
Was der Gruppe zum vollständigen Glück nur noch fehlt, ist eine ebenso eigene Stimme: Gitarrist und Bassist teilen sich den Gesang, aber keiner von beiden besitzt ein wirklich unverkennbares Organ. Das teils kratzige Grummeln, teils entrückte Singen (das immer ein wenig an den Sing-Sang von Ozzy Osbourne erinnert: „This Mortal Soil“) ist der Sache dienlich, aber auch nicht mehr. Mit einem stimmgewaltigeren Frontmann könnten Mastodon es bis in die Oberliga schaffen.
Dieser Text erschien zuerst am 14.9.2006 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.
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