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Paris Hilton: Paris (2006)

Paris brennt!

Die erste CD von Paris Hilton, Socialite-Girl Nummer Eins. Das kann ja nichts werden … oder?

Man kann ja weiß Gott nicht behaupten, daß irgendjemand darauf gewartet hätte – es sei denn vielleicht in schadenfroher Erwartung, einer Katastrophe mittelgroßen Ausmaßes beizuwohnen, irgendwo zwischen WATERWORLD und GLITTER. Die Hilton ist gemeinhin die letzte Konsequenz unserer permanenten Superstar-Suche, das Destillat aus Omnipräsenz und Sinnlosigkeit – die Klatschspalten feiern sie, weil sie von den Klatschspalten gefeiert wird. Denkt man sich die mediale Aufmerksamkeit weg, mit denen ihre pure Existenz auf ein Podest gehoben wird, kennt jeder diesen Typ Mensch: Immer schön, immer auf jeder Party, und nie zu was zu gebrauchen.

Und jetzt kommt’s: Das Album von Paris Hilton, schlicht und ergreifend PARIS getauft, ist gut. Ohne wenn und aber, ohne Zugeständnis und ohne Entschuldigung: Es ist wirklich gut. Stephen Thomas Erlewine, Chefkritiker beim All-Music Guide, stellte verblüfft fest, daß das Album „shockingly good“ sei – und das nicht nur, weil von der charismafreien Hilton sowieso niemand etwas brauchbares erwartet hat. Denn nach mehrfachem Anhören hat sich das Gimmick – „ja, die macht jetzt Musik“ – verabschiedet und das Album bleibt dennoch auf der Höhe.

Natürlich macht Paris Hilton Pop. Tanzbaren Pop, Hiphop, ein bißchen R&B. Was hätten die Skeptiker denn erwartet? Zwölftonmusik? Und ebenso natürlich, wie ein Pop-Phänomen (zur Erheiterung schreibe man das Wort kurz ohne Bindestrich) Pop macht, so natürlich funktioniert diese Musik auch in ebendiesem Kontext. Also da, wo Christina Aguilera mit aller Gewalt ihrer Stimme auszubrechen versucht, Britney vom Zeitgeist schon wieder überholt wurde, Ashlee sich pudelwohl fühlt und Lindsay Lohan mit gespielter Ernsthaftigkeit mitfeiern will.

In ebendiesem Kontext ist Paris eine Marke, eine Figur, mit der augenzwinkernd gespielt werden kann. Was das musikalische Team auf PARIS auch ausgiebig tut: Mit „that’s hot“ wird eingestiegen und die Party kann losgehen. So viele Kerle prügeln sich um Paris („All the boys, they’re all fighting over me“), und bei soviel Vergnügen dürfen wir auch nicht die Fehde mit der ehemalig besten Freundin Nicole Richie vergessen („Jealousy“). Paris gräbt uns mit viel Innuendo an („You’ll learn I’m not too shy / You and I, we can do this thing tonight“) und fragt uns ganz zum Schluß noch: „Do Ya Think I’m Sexy?“

Die Musik dazu ist leicht und unwiderstehlich. „Turn It Up“ ist knackiger Tanzflächen-R&B, „Fightin‘ Over Me“ straight groovender Hiphop mit einem gemeinen Pianohook. Den Faux-Reggae „Stars Are Blind“ kennen wir ja schon aus dem Radio, und wenn wir einen richtigen Sommer gehabt hätten, hätt’s ein Sommerhit werden können, obwohl es dank zugekleistertem Sound eigentlich der schwächste Track auf dem Album ist. Viel mitreißender das funkige „I Want You“ (mit Grease-Samples!), oder die Powerpop-Stücke „Jealousy“ und „Screwed“, in denen sich auch Ashlee sehr wohlgefühlt hätte. Das oben bereits erwähnte Rod-Stewart-Cover wartet mit warmem 70’s-Flair auf.

Wieviel hat nun Paris zur Musik beigesteuert? Schwer zu sagen. Hauptproduzent ist Scott Storch, der mit gutem Gespür für Luft arrangiert, aber auch die makellosen Pop-Songs von Greg Wells gehen ins Ohr. Kara DioGuardi, die auch schon für einige der bereits genannten Pop-Prinzessinnen Songs geschrieben hat, steuert ebensolche Ohrwürmer bei. Und Paris selbst? Die hat bei immerhin fünf Songs (von insgesamt elf) einen Songwriter-Credit bekommen, aber eigentlich ist das völlig egal, weil hier etwas über Paris, mit Paris entstanden ist, was ihren Status als popkulturelles Phänomen untermauern soll, mit all den Oberflächlichkeiten, die diese Schiene mit sich trägt.

Mit diesem Album – viel leichter genießbar als beispielsweise Lindsay Lohans freudloses Zweitwerk – hat Paris endlich etwas, worauf sie ihre Bekanntheit aufbauen kann: Sie ist nicht mehr grundlos präsent. PARIS ist ein gutes Popalbum, Skepsis hin oder her. Selbstverständlich verwandelt das Album Paris Hilton nicht in eine Shakespeare-lesende, erwachsene Frau. Oder gar in ein richtiges menschliches Wesen. Aber sind wir mal ehrlich: Wollen wir das überhaupt?

Dieser Text erschien zuerst am 21.9.2006 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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