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Gedanken zum Rolling Stone 04/2006

1) Im Editorial wird angekündigt, daß die Ausgaben für Mai und Juni ganz im Zeichen des 65. Geburtstages von Krähklampfist Bob Dylan stehen werden. Aus tiefer Freundschaft und Respekt halte ich mich ja üblicherweise zurück, wenn es um den gnadenlosesten aller sogenannten Singer/Songwriter geht, aber der Gedanke, mir zwei Monate lang auf Dutzenden von Seiten eine Laudatio nach der anderen auf diesen schmumpfigen Nuschelkopp ansehen zu müssen (ich würde ja nie soweit gehen, die Gottesanbetung tatsächlich zu lesen), ziehen sich mir misanthrop die Mundwinkel nach unten. Verschont mich! Gebt mir lieber zwanzig falsche Plastikpop-Kasperl statt dieses authentische Geseiere!

2) Kid Rock hat ein Live-Album herausgebracht. Ein Blick auf die Tracklist verrät uns, daß es quasi auch als Greatest-Hits-Kollektion dienen soll, aber weil bisherige Liveaufnahmen des Kleinen Rockers aus Detroit manch Überraschendes aus dem Material zu Tage gefördert haben („I Am the Bullgod“), sehen wir mal gnädigerweise darüber hinweg, daß die Live-CD sicherlich nur darüber hinwegtäuschen soll, daß Kid seit 2003 nichts mehr von sich hat hören lassen.

3) Ein sehr sehr faszinierender Artikel über die irrwitzige Mars-Mission. Nachdem unsere Generation nicht vor dem Fernseher sitzen konnte, als seinerzeit der erste Mensch den Mond betrat, könnten wir eventuell im höheren Alter dafür die Marslandung mitverfolgen. Der Irrwitz des Unterfangens und die Milliarden Problemchen, die vorher noch gelöst werden müssen, scheinen mir Inspiration genug für die Menschen zu sein, die stets nach mehr streben. Spannend.

4) Ein 16-Seiten-Special über The Flaming Lips, die ich nicht kenne und eigentlich auch nicht kennen will. Schluß mit dem ganzen Das-könnte-ja-irgendwie-interessant-sein: Das Leben ist zu kurz, um sich jeden dahergelaufenen Musiker anzuhören.

5) Es gibt eine Doku über Leonard Cohen, zu der Wim Wenders aktenkundlich geweint hat. Schön. Weniger schön, daß die Doku offenbar vielen Menschen Platz bietet, aus dem Werk Cohens Kitsch zu machen. Und Bono ist auch dabei, obwohl es gar keinen gemeinnützigen Zweck gibt. Wozu braucht man diese Menschen, wenn es eigentlich um Cohen geht? Und warum belästigen uns schon wieder irgendwelche gerührten Musikmacher mit völlig unnötigen Coverversionen von den großen Cohen-Songs?

6) Ein neues Mark-Knopfler-Album, aufgenommen mit Emmylou Harris. Die Bandbreite der Möglichkeiten liegt irgendwo zwischen leisen, weisen, und unaufdringlich-entspannten Songs auf der einen Seite und klebrigem Country-Kitsch auf der anderen. Will ich’s wirklich wissen, oder hab ich nicht eigentlich schon genug Platten von Knopfler?

7) Lesley Gore hat auch ein neues Album aufgenommen … und zwar das erste seit 1976. Nach eigenem Bekunden hat sie in den 30 Jahren dazwischen zwar gesungen, aber eher ohne Ambitionen, und es scheint eine CD herausgekommen zu sein, die laut Rolling Stone „sehr erwachsen, sehr nachdenklich“ ist. Eigentlich interessiert die mich mehr als der ganze andere Krempel, der da seitenlang angepriesen wird.

8) Ich träume von einer Welt, in der nicht jeder Huster und jede Erscheinung von Bruce Springsteen mit den Worten „legendär“, „Magie“, „Katholizismus“, und „die explosivste, sentimentalste, pompöseste, schärfste, verspielteste, überdrehteste, komischste, anrührendste und leidenschaftlichste Musik, die der Rock’n’Roll je hervorbrachte“ bedacht wird. Kill your idols.

9) Irgendwie will ich das Miles-Davis-Boxset mit den „Cellar Door Sessions 1970“ dringend haben, aber andererseits weiß ich nicht genau, wann ich die 6 CDs denn je hören soll.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    6 Comments

    1. Hm…sind das nicht eher alles gedanken über dich, als über den rolling stone?
      aber wennst lesen willst wie jemand springsteen nicht gut findet, grab einen alten musikexpress aus, wo sie „devils & dust“ rezensieren. das neue live album ist halt auch der hammer. Und dylan……naja, mal schauen was sie uns erzählen. Allerdings – recht viel neues wirds nicht geben und alles andere interessante ist schon x-mal erzählt.

    2. Es lautet ja auch „zu“ und nicht „über“.

      An die Springsteen-Kritik erinnere ich mich gut, ebenso wie an deine Empörung darüber …

    3. jaja, das kann ich halt nicht verstehen ;-). aber macht das „zu“ und „über“ einen Unterschied? außerdem wissen wir ja wie der rolling stone tickt.

    4. „Zu“ bedeutet „anläßlich“, „in Verbindung mit“. „Über“ bedeutet „auf das Objekt bezogen“. Das Wort zum Sonntag dreht sich ja auch nicht um den Tag als solchen.

      Sollte ich übrigens meine Gedanken zum aktuellen Musikexpress niederschreiben (die vermutlich nicht weit über „laßt mich bitte mit den ganzen deutschen Bands in Frieden“ hinauskommen würden), stünde der Springsteen-Gedanke ebenso dort.

    5. ja, die sind auch total begeistert vom neuen springsteen album. das ist zwar im boxset vor ein paar monaten auch schon erschienen und an haben sies auch besprochen und sind nicht so auf die knie gefallen. naja, man braucht ja was zum schreiben oder? sind im neuen musikexpress soviele deutsche bands drin? das sind doch chili peppers ganz groß. ah ja und blumfeld, aber sonst…..?

    6. Es ist vermutlich eher ein Gefühl der akkumulativen Häufung solcher Bands in den letzten Monaten als eine tatsächlich quantitativ festmachbare Zählung in der letzten Ausgabe.

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