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Sex sells! … für 19 Cent.

Heute lernen wir Alfons kennen. Alfons arbeitet als Einkäufer beim Saturn und zeigt sich dabei – wie bei der gesammelten Bodencrew des großen Konzerns imperativisch im Vertrag verankert – von keinerlei Sachkenntnis belastet. Jetzt gerade sehen wir Alfons, wie er sich ob der jüngsten Lieferung des Vertriebs ein wenig ratlos den Kopf kratzt: Wer ist denn gleich Holly Valance? Und warum schicken die uns 3 Millionen Exemplare ihrer Single?

Alfons versucht ein wenig nachzudenken. Mit einem zusammengekniffenen Auge und strengem Blick gen Boden jongliert er ein paar Zahlen hin und her. Mit Erschrecken stellt er dabei fest, daß er schön langsam anfangen sollte, für die anstehende Maturaprüfung zu lernen. Aber egal: Hat er da vielleicht beim Multiplizieren …? Also, ein Top 50-Hit für fünf Euro macht in etwa 260 Exemplare, da kommen dann ungefähr 300 Kunden drauf … nein, das müßte schon stimmen, ergibt genau die 65.245 CD-Singles, die hier in den Kisten verpackt sind. Aber halt! Da ist ja noch eine Gewinnspanne einzuplanen! Also, 65.245 mit zwei Euro Einkauf … muß man das jetzt dividieren oder teilen?

Bah, da soll sich doch jemand anderes drum kümmern! Kurzerhand lädt Alfons die Preiskanone mit schlappen € 0,19 – wenn man 65.245 Mal 19 Cent verdient, ist das ja immer noch ein ganzer Batzen Geld. Schwupps, schon stehen die ganzen Singles im Aktions-Regal, und Alfons kann sich jetzt darüber Sorgen machen, wie er seinem Chef verklickert, daß er die gesammelten Werke dieses einen Rappers – war der nicht bei Wetten, daß? – fälschlicherweise mit 50 Cent-Preisschildern versehen hat.

Die Kamera zieht sich zurück, wir lassen Alfons schulterzuckernd in die Mittagspause eilen, während sich der Fokus langsam auf die obszönen Mengen von Holly-Valance-Singles stellt. Schon kommen zwei Käufer, die sich für 19 Cent schon mal gerne ein in pink & knapp bekleidetes Model beim Kieksen anhören. Wir folgen den beiden zur Kasse, blenden dann langsam zum Video von Holly über.

Holly macht sexy Electroclash, mit kalten Beats und fiependen Gitarren, fetter Attitüde und verzerrter Stimme. Holly trägt ein Shirt von den Ramones, die leider alle schon tot waren, als sie auf die Welt gekommen ist, aber sich ein Schild umzuhängen, auf dem „Ich rocke sehr frech“ steht, ist als Alternative eigentlich sehr unsexy. Holly tanzt wehendes Haares durch einen Club und trägt dabei einen Minirock, dessen eingenähtes Schild mit den Waschhinweisen die Länge des Kleidungsstückes um ein vielfaches überschreiten dürfte. Sie kriecht am Boden, läßt sich den Rock nach oben wehen, zeigt uns den nackten Rücken, räkelt sich zwischen Bettlaken und zeigt unschuldigen jungen Mädchen den Mittelfinger. Weil sie dabei auch immer sehr lasziv in die Kamera guckt, ist klar: Die will mich. Das sehr poppbare Mädel verläßt die Pop-Bar (man beachte den subtilen Wortwitz) und fährt neu geschminkt in eine Art Begegnungsstätte, wo ältere Herren auf junge Mädchen treffen. Dort legt sie sich in präkoitalen Wonnen ins weiße Bett und wartet darauf, von einer Mini-DV-Kamera beglückt zu werden. Ich brauche ein Kleenex.

Schwere Kaufempfehlung für 19 Cent. Es sind übrigens nur noch 65.243 Singles da.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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