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Genzel erinnert sich an das Jahr 2005!

Okay, das neue Jahr ist ja nun schon 16 Tage alt, und nach Neujahr blickt man eigentlich nicht mehr zurück. Wozu auch? Vorne ist’s ja immer viel spannender. Aber versprochen ist versprochen, und Blaukraut bleibt Brautkleid, und deshalb bequeme ich mich jetzt endlich mal dazu, auf das vergangene Jahr 2005 zurückzublicken.

Fangen wir doch mal mit den 5 besten Büchern an, die ich 2005 gelesen habe – das ist nämlich ganz einfach:

1. William Dear: THE DUNGEON MASTER (1984)
Dear ist ein Privatdetektiv, der sich auf die Suche nach James Dallas Egbert III macht, einem 16jährigen Genie mit einem IQ von 180, das an der Universität Michigan offenbar beim Dungeons-and-Dragons-Spielen im Tunnelnetz unter dem College verschwunden ist. Packend wie ein Krimi, psychologisch spannend, ungemein faszinierend. Dear schreibt sehr fesselnd, und die (wahre!) Geschichte ist mir so nahegegangen wie sonst keine andere im letzten Jahr.

2. J.D. Salinger: FRANNY AND ZOOEY (1955/57)
Salinger ist sowieso der Autor des Jahres 2005, und sein CATCHER IN THE RYE ist weltberühmt – aber die wahre Brillianz seiner Schreibkunst liegt in den Kurzgeschichten. Sehr intelligent kann Salinger kleine Welten durch Andeutungen aufbauen, deren Geheimnisse tief zwischen den Zeilen verborgen blühen. FRANNY AND ZOOEY faßt zwei seiner Kurzgeschichten zusammen, die von der Familie Glass erzählen – mit Franny Glass‘ Sinnkrise im Mittelpunkt. Es passiert nichts Spektakuläres, und es wird viel (meist aneinander vorbei) geredet – aber mehr Wahrheit und Weisheit als in Salingers Geschichten wird man schwerlich finden (gewisse Songs von Schwarz sägen eventuell am Thron).

3. David Kushner: MASTERS OF DOOM (2003)
Es gibt eine Handvoll berühmter Programmierer und Spiele-Designer – allen voran Richard Garriott, aber auch Ken Williams, Peter Molyneux, Sid Meier oder „Wild“ Bill Stealey – aber John Romero und John Carmack waren die ersten Rockstars der Szene. Mit WOLFENSTEIN 3D, DOOM und QUAKE haben sie die Computerspiele revolutioniert und nebenbei für mehr Kontroversen als zuvor gesorgt. Kushner verfolgt den Werdegang und die späteren separaten Wege der beiden Johns und schafft es, das Genie der beiden genauso greifbar zu machen wie ihren Größenwahn (Romero) bzw. ihre soziale Inkompetenz (Carmack).

4. Joseph Heath & Andrew Potter: NATION OF REBELS (2004)
„Why Counterculture Became Consumer Culture“. Heath und Potter lassen kein gutes Haar an den Mythen der Gegenkultur, an den festgesetzten Vorstellungen der Menschen: Daran, daß Bill Gates ein kapitalistisches Schwein ist, während Steve Jobs aus reiner Nächstenliebe viel bessere Computer unter das Volk bringt. Daran, daß Bands im Underground bleiben müssen, weil der Sprung zu den großen Labels ein sofortiger Ausverkauf ist. Daran, daß Rebellionen den Kapitalismus stürzen könnten. Witzig & provokant zerlegen die beiden Autoren Dutzende von Beispielen aus allen Bereichen und zeigen auf, wie das „Anders-Sein“ die Wirtschaft ankurbelt und „cool“ eigentlich nur „exklusiv“ bedeutet. Essential reading.

5. Haruki Murakami: SOUTH OF THE BORDER, WEST OF THE SUN (1992)
Mit bestem Dank an Otto, der mir das Buch – das auf Deutsch GEFÄHRLICHE GELIEBTE heißt – zum Geburtstag geschenkt hat („Der deutsche Titel ist so blöd, da habe ich dir die englische Ausgabe besorgt“). Ich weiß nicht, ob es einen Autor gibt, der lyrischer und poetischer schreibt als Murakami. Die Magie des Buches ist schwer zu beschreiben, aber schon nach wenigen Seiten webt sich eine bittersüße Sehnsucht durch die Geschichte, in der ein Mann Mitte 30 von seiner Jugendliebe Shimamoto wieder aufgesucht wird, mit der er, seit sie beide 12 waren, keinen Kontakt mehr hatte, und deren Bild ihn immer verfolgt hat. Das Wiedersehen wird zu einer wehmütigen Auseinandersetzung mit dem, was hätte sein können, und mit dem, was nie sein kann.

Ebenfalls erwähnenswert: Peter Biskind, DOWN AND DIRTY PICTURES (2004). Wie schon in EASY RIDERS, RAGING BULLS zeichnet Biskind ein starkes Bild einer Filmära – diesmal der Independent-Szene der 90er, rund um Miramax und Sundance. Nach dem Buch möchte man nurmehr die Tür vor Harvey Weinstein versperren.

Noch ein Buch, das es fast in die Liste geschafft hätte: HOLLYWOOD ANIMAL (2004) von Joe Eszterhas. Daß Joe ein wenig selbstverliebt ist, dürfte eigentlich keine Überraschung darstellen, aber daß er genau weiß, wie man eine Geschichte – in diesem Falle seine eigene – erzählt, an und für sich auch nicht. Knapp 900 unglaubliche Seiten, und alleine die Geschichte über den Prozeß gegen seinen Vater ist den Kauf wert.

Und natürlich: Das schlechteste Buch 2005. Doch, doch, das gibt’s auch. Die „Ehre“ geht dieses Jahr Wolfgang Hohlbein für sein Werk FEUER (2004) zuteil. Hohlbein, den ich sonst als sehr kompetenten Autor von spannungsgeladener Phantastik schätze (die NEMESIS-Reihe dieses Jahr war zum Beispiel unmöglich aus der Hand zu legen), erzählt hier eine völlig abstruse, nie endende Geschichte, bei der er nach 600 Seiten dann selber die Lust verloren hat, sie zu Ende zu erzählen. Schlimme Dialoge, haarsträubende Entwicklungen und eine größtenteils schlichtweg langweilige Handlung: ab ins FEUER.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    4 Comments

    1. Also ich hab ja auch 2005 die fabelhafte Geschichte des Holden Caulfield gelesen und muss sagen: Salinger is the man!
      Bei den anderen Büchern, die du da aufzählst, würd mich wohl der D&D-Krimi noch reizen (nicht zuletzt deshalb, weil ich selbst mal D&D gespielt habe bzw. versucht habe es zu spielen).

      Ich könnte diese Liste noch um jene Bücher erweitern, die ich im vergangenen Jahr gelesen habe: The wonderful Wizard of Oz (Frank L. Baum); 31 Songs (Nick Hornby); Die Grasharfe (Truman Capote); Generation X (Douglas Coupland) und Jugend ohne Gott (Ödön v. Horvath).

    2. Capote muß ich auch mal lesen, aber sag mal, kannst du mir den Coupland erklären? I didn’t get it at all. Also, ich hab‘ schon kapiert, was in GENERATION X passiert ist, aber ich keinen blassen Schimmer, was das alles soll. Any clues?

    3. Ich hab mich eher lustlos durchgequält; das sollte auch mein Beispiel für das mieseste Buch sein … i don’t get it at all!

    4. also ich fand ja FOR ESME- WITH LOVE AND SQUALOR von Salinger besser. obwohl, da is auch ein Unterschied, weil FOR ESME einfach Kurzgeschichten sammelt, die nichts miteinander zu tun haben, wogegen FRANNY & ZOOEY ja zusammen gehören.
      NATION OF REBELS hab ich eh auch schon gepriesen.
      nicht zu vergessen beim lesestoff von Schwarz 2005: Die Märchen der Gebrüder Grimm und „Klinische Psychologie“ von Urs Baumann.

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