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Welt = Dorf

Heute im Aldi steht neben uns in der Schlange ein hagerer, unrasierter Kerl, den wir von daaaaamals kennen: Der Typ hatte mal ein Computergeschäft namens Control Computer, die zunächst in Pfaffing zu finden waren, dann nach Wasserburg umgezogen sind und seitdem verschwunden sind. Sollte es den Laden noch geben, ist das spurlos an uns vorübergezogen. Jedenfalls war dieser Typ, dessen Name mir nicht einfällt, immer ein wenig seltsam, und hat einen bei Computerproblemen immer ungefähr so angesehen, als hätte man ihn nach den Tonrillen auf einer DVD gefragt. Und es war ja nicht nur, daß man sich richtig blöd vorgekommen ist, wenn man ihm einen Rechner zur Reparatur gebracht hat – sein Gesichtsausdruck hatte da auch immer etwas Genervtes, so einen Werfen-Sie-zwei-Aspirin-ein-und-kommen-Sie-Montag-wieder-Blick. Egal.

Jedenfalls waren mein Dad und ich noch am Überlegen, ob wir ihn ansprechen sollen, da winkt mir eine Frau mit Brille hinter der Kasse zu, und nach zweimaligem Hinsehen erst erkenne ich Sabine, die mit mir in die Klasse gegangen ist und von der ich seinerzeit sehr geschwärmt habe. Das ist ja nun eine Zeitlang her, genaugenommen acht Jahre, aber irgendwie scheint sich gerade die Vergangenheit im Aldi herumzutreiben und mir sogar zuzuwinken. Ein kurzer Austausch – klar, mir geht’s gut, wie geht’s dir, geht’s dir auch so gut wie mir? – und schon weiß man, daß das blonde Mädel aus der Klasse, das immer aussah wie Kelly Bundy, jetzt schon ein zweites Kind hat, und daß sicherlich im Dezember wieder ein Klassentreffen ansteht. Nachdem unser werter Wahn (Obi-, natürlich) ja schon letztens genüßlich vom Klassentreffen berichtete, als sei es ein literarisches Rezensionsexemplar (die Rede war mitunter von „zentralen Figuren“), kann ich dann vielleicht auch Geistreiches und Gruseliges vom Treff der K20 aus Gars zu Blogge bringen.

Aber offenbar sind die wenigsten meiner Klasse so völlig losgelöst vom damaligen Umfeld: Die Menschen, mit denen man in die Schule ging, sind jetzt Studienkollegen oder Stammtischfreunde, und so mancher geht offenbar sogar zu den vorweinerlichen Abenden unserer alten Schule. Und ich? Renne höchstens mal nach acht Jahren jemandem von damals im Aldi über den Weg, und find’s jetzt schon schade, daß ich nicht eine Welle angegeben habe, welch großartiger Filmemacher ich nicht schon sei, damit die Kunde in die Welt hinausgetragen werden möge. Ihr wundert euch jetzt sicherlich, was eigentlich der Punkt bzw. der tiefere Sinn dieses Geschreibsels ist, und ich darf euch versichern: Es gibt eigentlich keinen. Aber vielleicht schält sich ja beim Klassentreffen einer heraus?

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    1 Comment

    1. Da zitiere ich gerne mal WIA DE JOHR VORBEIGEHN von Georg Ringsgwandl:

      WIA DE JOHR VORBEIGEHN

      Wia de Johr vorbeigehn,
      fast ohne Spur,
      ma siehgt uns garnix o,
      a poor Kratzer nur.

      Mir san beschäftigt alle,
      mir ham no so vui vor,
      mir gebn dem Tod koa Chance,
      er trifft uns nia alloa.

      A kloana Krieg amoi,
      an am ganz entferntn Eck,
      es kemman Freind dazua,
      und andre sterbn uns weg.

      Irgendwo auf dera Welt,
      gibts oiwei wos, wo’s schiaßn,
      aber’s Fernshn bringt’s dann scho,
      wenn’s wos is zum wissen miaßn.
      Irgendwo blost grod a Wirbelsturm poor Hittn ausanand,
      irgendwo stinkt’s dem Planeten, und er bebt vor Grant.

      Aber mir, mir ist des alles Wurscht,
      i kaaf ma a Hoibe für mein Durscht,
      weil, ändern tuat se sowieso nix,
      Prost, mei Freind, wos soi’s ?

      Irgendwo geht grod a Liacht aus, irgendwo wird jemand munter,
      irgendwo steigt jemand rauf, irgendwo springt jemand runter.
      Irgendwo a Katastrophe,
      irgendwer werd gschundn,
      entweder es passiert wos,
      oder es werd wos erfundn.

      Aber mir, mir ist des alles Wurscht,
      i kaaf ma a Hoibe für mein Durscht,
      weil, ändern tuat se sowieso nix,
      Prost, mei Freind, wos soi’s ?

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