Bei den folgenden Zeilen handelt es sich um meine Reaktion auf einen Artikel, der am 19.10. in den Salzburger Nachrichten erschienen ist. Im Artikel geht es um Oliver Hirschbiegels DER UNTERGANG. Zu finden ist er hier.
Herr Wallnöfer wundert sich, wen es interessiert, was Hitler und seine Helfer in ihren letzten Stunden gemacht haben. Der Frage implizit erscheint mir, dass Leben und Taten von Verbrechern nicht thematisiert werden sollen, weil dadurch ihren Handlungen eine Plattform geboten wird. Es kann und darf aber doch keine Lösung sein, das Geschehen totzuschweigen. Hirschbiegels Film ist wahrhaftig keine Sensationsgier oder ein unseriöser Ansatz vorzuwerfen. Wie in seinem vorigen Film DAS EXPERIMENT studiert Hirschbiegel die Psychologie eines Machtgefüges und zeigt, wie Menschen handeln, wenn das System ethisches und moralisches Fehlverhalten toleriert oder gar belohnt. Er zeigt, wie die von Hitler geschaffene Maschine selbst nach seinem Tode weiter funktioniert, dank ideologischer Verblendung und eingeimpfter Machtstrukturen. Letztlich gibt Hirschbiegel dem Schrecken durch die Darstellung Hitlers ein Gesicht – und entreißt dieses dunkle Kapitel der Geschichte somit aus der Abstraktion, stößt den zum übermenschlichen Dämon stilisierten Führer vom Sockel, um klar zu machen: Was wir als Synonym für das absolute Böse verstehen, ist ebenso ein Mensch gewesen.
Diese Darstellung Hitlers als Mensch, der körperlich und geistig von Krankheit gezeichnet ist, ist nicht so zu verstehen, dass wir als Zuseher Mitleid empfinden sollen. Diese Darstellung dient als Spiegel, als bösartigste Version dessen, was in manchen Menschen zum Vorschein kommen kann, wenn die Umstände es ihnen erlauben – wie ja auch Beros sich im EXPERIMENT als sadistischer Wahnsinniger entpuppt, der seinen Minderwertigkeitskomplex durch Macht aufzufangen versucht. Filmisch gesehen ist der Vorwurf der Verharmlosung, beziehungsweise des Erweckens von Sympathien, nicht haltbar: Hitler wird nicht durch aufschwellende Musik sentimentalisiert, sein Auftreten nicht durch dramatische Schnitte begleitet. Hirschbiegel filmt immer aus der Perspektive des Beobachters, verweigert auch einen Kommentar zum Gezeigten. Die Gefühle, die man dem hier dargestellten Hitler entgegenbringt, kommen aus dem Zuseher, nicht aus dem Film.
Leider führt Herr Wallnöfer nicht aus, warum nur die Dokumentation der Perspektive des Films gerecht werden kann – widerspricht aber somit der vorangegangenen Kritik, sich überhaupt filmisch mit dem Thema zu beschäftigen. Freilich kann theoretisch jedes Thema filmisch aufbereitet werden, und das nicht nur aus einer Perspektive heraus oder in nur einer stilistischen Variante – wer entscheidet darüber, welche Thematik für eine filmische Umsetzung geeignet ist? Gleichsam erlauben verschiedene Ansätze unterschiedliche Zugänge zum Thema. Die Dramatisierung der Ereignisse (im Sinne eines nichtdokumentarischen Ansatzes) verstärkt das Erleben des Geschehens und kann andere Schwerpunkte setzen als die rein dokumentarische Aufbereitung.
Der letzte Absatz verrät Herrn Wallnöfers Hauptkritikpunkt: „Unterhalten werden wollen wir ganz anders“. Wer in einem Film wie DER UNTERGANG die bloße Unterhaltung sucht, wie sie das tägliche Hauptabendprogramm sonst auch bietet, wird sicherlich in ein eigenes Dilemma kommen: Wer gibt schon gerne zu, sich bei einem Film über das Dritte Reich gut unterhalten zu haben?
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