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Ich filme selbst, filmt ihr mit?

Gerade jetzt, wo die Spannung beinahe nicht mehr auszuhalten war, wird uns endlich die Auflösung der Lagerfilm-Trilogie präsentiert. Sozusagen klammheimlich werkelte der Vater des Selbstfilms, der eigenbrödlerischste Kreative der Szene, Jörg Zimmermann in Köln am fulminanten Finale der Geschichte rund um Personalchef Thomas Fritz und seinen Lagerchef Bernd Meier. Von den Mainstream-Medien immer noch unbeachtet steht jetzt der wahnwitzige Wendepunkt der Serie zur Disposition, dessen technische Neuerungen zusammen mit der überraschenden Geschichte für Aufruhr sorgen sollten. Zu finden: hier.

Wer sich die Spannung erhalten will, sollte die folgenden Zeilen erst nach Ansehen des elegischen Epos durchlesen. Wer hätte gedacht, daß es mit der Firma Papier Müller ein derartiges Ende nehmen würde? Allzu deutlich zeigt sich im plötzlichen Konkurs der Firma die Ernüchterung Zimmermanns über die sozialen Probleme, die durch eine rot-grüne Regierung verschlimmert wurden. Von immenser Brisanz auch der unversöhnliche Schluß, in dem der gekündigte Herr Meier das Büro zum letzten Mal verläßt und nicht weiß, wohin er sich wenden soll – es mag als Allegorie für die erhoffte, aber im Chaos versunkene politische Wende in Deutschland verstanden werden. Meisterlich der durchdringend dokumentarische Stil Zimmermanns, der auf falsches Pathos und kitschige Musik verzichtet, um die Zerrissenheit der Figuren nüchtern zu sezieren.

PLEITE, so der programmatische Titel des Werkes, kann als erster Hartz-IV-Selbstfilm der Geschichte gedeutet werden. Erst mit dem jetzigen Werk verstehen wir die betrübte Stimmung der ersten beiden Teile, deren bekannte – und dort noch leichtfüßig verwendete – Grußformel „Also dann, tschüß“ hier einen harschen, abweisenden Unterton erfährt. Als einfacher Mann hat Zimmermann natürlich den Finger viel näher am Puls der Arbeiterzeit, versteht die sozialen Bedrängnisse der unteren Schicht besser als jeder andere. Seine Filme sind ein Aufschrei gegen die unwissende Ungerechtigkeit, die uns die deutsche Regierung (und den Menschen, die sich dafür halten) Tag für Tag angedeihen läßt.

Tschüß.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    4 Comments

    1. „Pleite“ ist der existenzialistischste aller Zimmermannfilme. Bereits die erste Szene erinnert mit ihren düsteren Vorahnungen an den Chorgesang der griechischen Tragödie. Während Außenstände und die mangelnde Zahlungswilligkeit der Geschäftspartner die materielle Dimension der Katastrophe vorwegnehmen, hängt die ausstehende Chefentscheidung wie ein Damoklesschwert über dem persönlichen Schicksal Bernd Meyers. Innerlich bereits der Unausweichlichkeit seines sozialen Abstiegs gewahr, vermag er kaum seiner gereizten Verzweiflung Herr zu werden. Die stoische Gelassenheit der ersten beiden Teile ist hier dem Leiden der postmodernen Existenz an der zynischen, menschenverachtenden Wirtschaftsideologie des Postkapitalismus gewichen. Im knappen und stark gepressten „Tschüss“ erfährt die Trilogie eine dramatische Zuspitzung: Die leitmotivisch verwendete Verabschiedungsformel „Also dann, tschüss!“ wird ihrer sozialen Modifikatoren beraubt und setzt bereits hier kontrapunktivisch einen symbolischen Schlusspunkt.
      Unausweichlich folgt die Kündigung. Thomas Fritz, der schweren Herzens seinen Freund Bernd Meyer entlassen muss, spricht noch die versöhnlichen Schlussworte: „Also dann, tschüss! Vielleicht sieht man sich mal.“ Damit knüpft der Regisseur situativ an die ersten beiden Teile an und nimmt dem düsteren Drama für kurze Zeit seine unerbittliche Härte. Diese wird aber sogleich wieder spürbar, wenn Fritz Bettinas gesamte Abteilung in sein Büro bittet, um sie kollektiv zu entlassen. Am Einzelschicksal Bernd Meyer zeigt der Regisseur exemplarisch das unvorstellbare Leid von 800 Angestellten, die plötzlich alle Feierabend machen müssen und am nächsten Tag schon beim AMS Schlange stehen.
      In der letzten Szene setzt sich Bernd in seinen Bürosessel, starrt gedankenverloren in seinen Bildschirm, packt und verschwindet. Der „Feierabend“ wird am Kündigungstag zur zynischen Floskel. „Pleite“ ist ein schonungsloser Abgesang auf den Sozialstaat und wirft ein völlig neues Licht auf die ersten beiden Teile. Bernds Beförderung zum neuen Lagerchef fand vermutlich statt, als sich die Firma bereits in einer schweren Finanzkrise befand. „Pleite“ ist der triumphale Höhepunkt einer nun völlig stimmigen Selbstfilmtrilogie, deren Brisanz und Tiefgang sich erst durch diesen fulminanten Schlussakt erschließt.

    2. „Pleite“ ist der existenzialistischste aller Zimmermannfilme. Bereits die erste Szene erinnert mit ihren düsteren Vorahnungen an den Chorgesang der griechischen Tragödie. Während Außenstände und die mangelnde Zahlungswilligkeit der Geschäftspartner die materielle Dimension der Katastrophe vorwegnehmen, hängt die ausstehende Chefentscheidung wie ein Damoklesschwert über dem persönlichen Schicksal Bernd Meyers. Innerlich bereits der Unausweichlichkeit seines sozialen Abstiegs gewahr, vermag er kaum seiner gereizten Verzweiflung Herr zu werden. Die stoische Gelassenheit der ersten beiden Teile ist hier dem Leiden der postmodernen Existenz an der zynischen, menschenverachtenden Wirtschaftsideologie des Postkapitalismus gewichen. Im knappen und stark gepressten „Tschüss“ erfährt die Trilogie eine dramatische Zuspitzung: Die leitmotivisch verwendete Verabschiedungsformel „Also dann, tschüss!“ wird ihrer sozialen Modifikatoren beraubt und setzt bereits hier kontrapunktivisch einen symbolischen Schlusspunkt.
      Unausweichlich folgt die Kündigung. Thomas Fritz, der schweren Herzens seinen Freund Bernd Meyer entlassen muss, spricht noch die versöhnlichen Schlussworte: „Also dann, tschüss! Vielleicht sieht man sich mal.“ Damit knüpft der Regisseur situativ an die ersten beiden Teile an und nimmt dem düsteren Drama für kurze Zeit seine unerbittliche Härte. Diese wird aber sogleich wieder spürbar, wenn Fritz Bettinas gesamte Abteilung in sein Büro bittet, um sie kollektiv zu entlassen. Am Einzelschicksal Bernd Meyer zeigt der Regisseur exemplarisch das unvorstellbare Leid von 800 Angestellten, die plötzlich alle Feierabend machen müssen und am nächsten Tag schon beim AMS Schlange stehen.
      In der letzten Szene setzt sich Bernd in seinen Bürosessel, starrt gedankenverloren in seinen Bildschirm, packt und verschwindet. Der „Feierabend“ wird am Kündigungstag zur zynischen Floskel. „Pleite“ ist ein schonungsloser Abgesang auf den Sozialstaat und wirft ein völlig neues Licht auf die ersten beiden Teile. Bernds Beförderung zum neuen Lagerchef fand vermutlich statt, als sich die Firma bereits in einer schweren Finanzkrise befand. „Pleite“ ist der triumphale Höhepunkt einer nun völlig stimmigen Selbstfilmtrilogie, deren Brisanz und Tiefgang sich erst durch diesen fulminanten Schlussakt erschließt.

    3. word!
      aber was ist die „postmoderne“?

    4. Zuerst einmal SORRY für das doppelte Posting. Weil der Computer nicht reagierte, habe ich einfach nochmals auf „Veröffentlichung“ geklickt und schwupps war es zweimal da. Vielleicht kann Chris eines löschen.
      Zur Frage: Die Zeit ab dem zweiten Weltkrieg bis jetzt wird oft als Postmoderne bezeichnet, weil sie in den Künsten die Moderne (ca. 1910-1930) als führendes Paradigma abgelöst hat. Kafka, der zeitlich in die Moderne gehört, hat viele postmoderne Züge, wie z.B. die Isolation und Entwurzelung des Einzelnen oder das Scheitern jeglicher Kommunikation. Ein weiteres entscheidendes Merkmal ist das radikale Infragestellen von Realität und Identität als objektiv wahrnehmbare Phänomene. Für die postmoderne Philosophie sind beide patchwork-artige Konstrukte, die jedes Individuum aus einer Vielzahl von medial übermittelten Einzelkomponenten zusammenbastelt. Wir bestehen sozusagen aus Texten/Diskursen (Büchern, lyrics, Geschichten etc.). Da wir oft selbst nicht wissen, wer wie sind, wo wir herkommen und wofür wir da sind, fällt es auch immer schwerer mit anderen zu kommunizieren. Postmoderne Romane haben meistens Ich-Erzähler, die verzweifelt versuchen, die drei Fragen zu beantworten und dabei kläglich scheitern. Die Selbsterkenntnis wie auch die Erkenntnis der Welt, die großen Ideale der Aufklärung, werden in der Postmoderne als Illusion entlarvt. Der postmoderne Mensch ist somit ein Opfer seiner eigenen Subjektivität und letztendlich, wie Kafkas ‚Helden‘, völlig unfähig, mit seiner Umwelt sinnvoll zu interagieren.
      Ich hoffe, dass das halbwegs verständlich war.

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