Wir sind Zeuge eines historischen Wandels. In wenigen Jahren wird man auf das Jahr 2005 zurückblicken und es weltweit als Geburtsstunde des Genres „Selbstfilm“ anerkennen. Eventuell wird man Vorreiter definieren, Nachzügler für ihre Innovationen loben oder schlichtweg Grenzen innerhalb des stilistisch doch sehr eng definierten Genres ausloten.
Aber halten wir doch einen kurzen Moment inne: So eng definiert ist das Genre ja gar nicht. Im strengsten Sinne ist ein Selbstfilm wohl ein Film, den man selbst gemacht hat, wo eben jede Kompetenz auf eine einzelne Person fällt. Eben so, wie uns Meister Zimmermann das vormacht. Nun plant letzterer allerdings, die ersten zehn Plätze seines Selbstfilmwettbewerbs zusammen einen Selbstfilm drehen zu lassen. Ist es also doch möglich, im Team selbst zu drehen? Wäre unter diesen Aspekten mein eigener Streifen SCHLAFLOS gar ein Selbstfilm?
Die Geschichte wird es wohl zeigen. Eventuell spaltet sich das Genre in diverse Subgenres auf, darunter eines, welches den Selbstfilm nur im strengsten Sinne versteht, ein anderes, wo eine einzelne Person sehr viel selbst macht, und vielleicht lockert sich der Begriff dahingehend, daß auch Dieter Hallervordens DIDI UND DIE RACHE DER ENTERBTEN (7 Rollen sowie Co-Regie!) als Selbstfilm verstanden wird und für seine Pionierarbeit innerhalb des Genres Wertschätzung erfährt.
Der zuletzt hier vorgestellte Film ALLTAG brach ja mit der bislang als selbstverständlich akzeptierten Konvention, ein Selbstfilm müsse ganz alleine entstanden sein. Der für die Hommage verantwortliche Nicolas Geissler, der sich übrigens ob meiner eingehenden Kritik in seinem Wunsch bestärkt gefühlt hat, dem Selbstfilm neue Impulse zu geben, arbeitete ja mit mindestens einer anderen Person zusammen, die leider im Abspann nicht genannt wurde. Nun, Nicolas und sein Moon-Man-Team lassen sich durch die bemängelten Abweichungen von Jörgs Dogma-Regeln nicht beirren und legen prompt ihren zweiten Selbstfilm vor: DAS FEST. Zu sehen hier.
Um es vorweg zu nehmen: Die Kritikpunkte bleiben die gleichen. Daß es dem Akteur an Ernsthaftigkeit zu mangeln scheint, mag verzeihlich sein, aber die völlige Abwesenheit eines Abspanns wirkt auch im zweiten Anlauf dem Zuseher gegenüber ungewöhnlich schroff. Immer noch wird Zimmermanns catchphrase „also dann, tschüß“ zu einem kurzen „tschüß“ verkürzt und ihr somit die rhythmische Intensität genommen. Immerhin wollen Geissler & Co. neue Wege beschreiten, indem sie zum ersten Mal in der noch relativ jungen Geschichte des Selbstfilms eine dritte Person (noch dazu eine Figur weiblichen Geschlechts!) einführen, die der Dialogkonzeption (insbesondere in weiteren Exponaten) einen gehörigen Schuß Komplexität hinzuzufügen verspricht.
Liebe Leser – Wir sind dabei, wie Geschichte gemacht wird. Ich möchte meine treuen Begleiter dazu anregen, sich auch an der Öffentlichkeitsarbeit für dieses noch im Untergrund beheimatete Genre zu beteiligen und eventuell selbst Werke beizusteuern, um das Establishment aufzurütteln: Ars Pecunia Gratis.
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Ars Pecunia Gratis? Ist das die lateinische Übersetzung von Dire Straits’s „Money for nothing (art) and chicks for free“?
Ich habe mir jetzt beide Selbstfilme der nächsten Generation, ALLTAG und DAS FEST, angesehen und mich dabei kaputtgelacht. Ich sehe auch eine völlig neue Epoche des Filmemachens auf uns zukommen. Bald wird schon jeder seine eigenen Selbstfilme im Internet haben.