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[Konzert] Porcupine Tree, 21. April 2005, München

Wir sind Musik!

Event-Tag: Wir fahren nach München, um uns Porcupine Tree anzuhören, ihres Zeichens Engländer und außerdem des Hellermanns Lieblingstruppe. Die Götter schenken uns für die Fahrt ins (für zwei Drittel von uns fremde) Ausland schönes Wetter, und so können wir auf der Autobahn die 10-Minuten-Fassung von „Don’t Let Me Be Misunderstood“ genießen, diesen 12-Inch-Very-Long-Extended-Nochwasdrauf-Mix, der einfach nie aufhört und vermutlich eine Stunde später immer noch laufen könnte, ohne daß es jemand merkt. Gute Stimmung macht sich breit, und als bei der Autobahnabfahrt Haar dann Zamfir gewaltigen Sechziger-Jahre-Kitsch panflötet, wird es beinahe andächtig. In Trudering machen wir Zwischenstop bei meiner Mom, die ja auch aufs Konzert mitwill, und deren Katzen- & Musiksammlung Helli & C2 scheinbar sehr fasziniert. Helli freut sich über Overkill & Pegasus, C2 dagegen über Springsteen und Cold. Tom, der dicke Perserkater, der sich mit Rasenmäher-Geschnurre auf dem Sofa breitmacht, wird von den beiden auch fast adoptiert.

In der Elserhalle macht sich aber zunächst Unmut über PT-Chef Steven Wilson breit: Statt den geplanten €18 kosten die Tickets €24. Und am Merchandising-Stand liegt nur teurer Schrott, und kein Mensch weiß, warum Steven €8 für eine „Lazarus“-Single haben will, die beim Müller €5 kostet. Na gut. Wir treffen uns mit Alex, einem Münchner Kollegen von mir, in dessen erstem Film ich eine kleine Nebenrolle gespielt habe, und dann passiert das Unglaubliche: Die Vorgruppe Anathema fängt auf die Minute pünktlich um 20.30 Uhr an. Da muß was bei der Organisation schiefgelaufen sein.

Macht fast nichts, weil sich die von Helli als „sehr melancholisch“ angekündigten Rocker als sehr gut entpuppen, und melancholisch mögen sie schon sein, aber erschießen muß man sich trotzdem nicht dabei. Da steht wohl demnächst wieder ein CD-Kauf ins Haus. Ach, hätten sie doch schlecht sein können, und sei’s nur meinem Geldbeutel zuliebe. Sie spielen ein ganz langsames Lied für „somebody who died“, und ich tippe auf den Papst, aber Helli klärt uns auf, daß es um die Mama vom Chef & seinem Bruder geht. Besagter Chef fängt irgendwann an, nur noch auf der Bühne zu liegen & kriechen, während er seine Gitarre malträtiert, und man merkt, daß die Burschen viel Spaß an der Sache haben. Zum Abschluß gibt’s ein Cover von einem Pink-Floyd-Song, der uns alle nicht so gekickt hat, und da ich ja nicht kiffe, kann ich an Pink Floyd auch gar nichts finden.

Wir bewegen uns weiter nach vorne, um die Porcupine-Mannen dann besser sehen zu können, und schon nach kurzer Umbaupause wirft sich Steven mit seinen Jungs auf die Bühne und spielt einen fantastischen Song nach dem anderen. Vieles vom neuen Album, das ja Helli gar nicht gefällt und das ich (bis auf zwei Songs) noch nicht gehört habe, aber die Dinger krachen gewaltig und sind mit viel Verve & Energie gespielt. Auch ältere Nummern sind immer wieder drin, und die fantastische Rhythmus-Sektion (was für ein schrecklich akademisches Wort) Harrison-Edwin treibt alles an. Selbst das zunächst gefürchtete „Geprogge“, wie Sir Schwarz die instrumentale Glückseligkeit nennt, mit der in zwei Songs minutenlang solistische Glanztaten vollbracht werden, ist fantastisch und mitreißend. Ein Lob auch an den feinen Tontechniker, dessen Abmischung glasklar ist – man kann alle Instrumente raushören und sogar Stevens Texte verstehen. Irgendwann im letzten Drittel standen dann ein paar komische Fans hinter uns, die dauernd begeistert gebrüllt haben – und zwar ohne kausalen Zusammenhang mit dem, was oben auf der Bühne passiert. Naja, es hat ihnen halt gut gefallen. Als Zugabe gibt’s „Shesmovedon“ und (und das betrachte ich als persönlichen Gefallen) „Trains“, meinen Lieblingssong von PT. Bei der Ankündigung letzteren Songs wollen mich Augenzeugen begeistert auf- und abhüpfen gesehen haben.

Heimwärts geht’s, und wir nicken zufrieden, weil’s uns allen gefallen hat. Meine Mom leiht sich sofort das IN ABSENTIA-Album aus, das ich im Auto liegen habe, Alex wird von uns irgendwo in der Stadt zurückgelassen, und wir machen uns auf den Heimweg. Die gute Nachricht: Steven hat angekündigt, dieses Jahr wiederzukommen. Dann mal bis bald!

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    5 Comments

    1. „Porcupine Tree“ bedeutet ja Stachelschweinbaum. Hat das irgendeinen Hintergrund oder war der Name einfach nur cool?

    2. beim Steven hat nix hintergrund und ist in erster Linie alles nur cool!

    3. „Porcupine Tree“ ist ja nicht mal seine einzige Erfindung. Weitere Projekte lauten (erst Kurzfassung, danach die Ausgeschriebene):

      No-Man (No Man is an Island except the Isle of Man)

      I.E.M (Incredible Expanding Mindfuck)

    4. Welche Kommentare fallen da eigentlich immer der Zensur zum Opfer?

    5. Helli löscht dauernd seine eigenen Einträge … das sind bestimmt die, in denen er etwas zur Diskussion beizusteuern hat.

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