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Interview: Peter Iwers (In Flames)

Musik als Fluchtplan

FRITZ-Interview mit In-Flames-Bassisten Peter Iwers über das vor Kurzem veröffentlichte neue Album SOUNDTRACK TO YOUR ESCAPE.

Die schwedische Band In Flames gibt es ja schon seit zig Alben und noch mehr Umbesetzungen, aber so richtig Notiz genommen von ihnen hat die Öffentlichkeit eigentlich erst 2002, als ihr Album REROUTE TO REMAIN veröffentlicht wurde – ihre ganz eigene Mischung aus konventionellen Extremmetal-Sounds, warmen Klängen und eingängigen Melodien hat zu diesem Zeitpunkt irgendwie auf sich aufmerksam gemacht. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Amerikanerin, die sehr auf Tool abfuhr und mir mit leuchtenden Augen von dieser neuen Band aus Europa erzählte: „Die sollen super-heavy sein“.

Nun, so extrem sind In Flames vielleicht nicht, aber trotzdem konnte REROUTE TO REMAIN punkten. Zwei Jahre später legt die Gruppe nach – SOUNDTRACK TO YOUR ESCAPE heißt das Werk, auf das eigentlich alles zutrifft, was man schon über den Vorgänger sagen konnte. Das Album mag hier eine Spur kantiger sein, dort eine Melodie mehr haben, aber im Großen und Ganzen ist es eine Fortsetzung von Altbewährtem. Neue Anhänger werden die Jungs hiermit sicher nicht finden, aber das Album wird die alten auch nicht vor den Kopf stoßen.

Nach mehrmaligem Durchhören der Promo-CD fällt auf, daß die Tracks eine Zeit lang brauchen, bis sie wirklich zünden. Aber beim dritten oder vierten Anhören bleiben die Songs im Kopf und erlauben es, Feinheiten herauszuhören. Der Sänger ist diesmal nicht ganz so weit in den Hintergrund gemischt wie beim Vorgänger, aber seine typische Mischung aus Krächzen und Kreischen irritiert auch hier mitunter, wenn man mit seiner Vortragsweise nicht hundertprozentig warm wird.

Eine Woche nach Erhalt der CD telefonierte FRITZ mit Peter Iwers, dem Bassisten der Band, der Iron Maiden und Slayer als seine zwei Lieblingsbands nennt, aber auch viel Toto hört und gerne Jazz mag. Peter, der im Moment in Stuttgart sitzt, redet entspannt und in charmant akzentuiertem Englisch über das neue Album.

Was bedeutet der Titel, SOUNDTRACK TO YOUR ESCAPE?

Nun, Anders (Friden, der Sänger der Band, Anm.) hatte diese Idee. Ich denke, er meint damit einen Weg, von sich selbst zu flüchten, von Problemen, die man vielleicht hat, oder von der Realität im Allgemeinen. Einfach in die Welt der Musik flüchten – die Kopfhörer aufsetzen und alles andere vergessen. Ich habe das früher gemacht. Ich war in der Schule, mußte Aufsätze und so schreiben, und ich habe immer einen Walkman hereingeschmuggelt. Ich habe dann versteckt Musik gehört, unter meinen Haaren, und dank der Musik entkam ich der Realität und konnte mein Bestes in der Schule geben. Ich glaube, viele Leute tun das so. Es muß nicht unbedingt Musik sein, aber sie brauchen etwas, um wegzukommen. Manche Menschen machen Übungen, machen Yoga, manche hören Musik, um von ihrem inneren Selbst wegzukommen.

Was, würdest du sagen, sind die Unterschiede zwischen dem letzten Album, REROUTE TO REMAIN, und dem neuen?

Ich glaube, wenn du dir die zwei Platten hintereinander anhörst, würde ich sagen, die neue ist härter, ein bißchen aggressiver. Zugleich haben wir all die Melodien und Harmonien behalten. Ich glaube, es ist ein weiterer Schritt nach vorne, an manchen Stellen thrashiger, an anderen poppiger. Wir haben nichts anders gemacht als früher, als wir die Musik geschrieben haben, wir haben nur probiert, nicht das gleiche Album zweimal zu machen.

Wie würdest du generell den Sound deiner Band beschreiben?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich weiß nicht … manche Leute nennen es – oder nannten es – melodischen Death Metal, und das ist es wohl auch immer noch zu einem gewissen Grad. Manchmal ist es Popmetal, Thrash … vielleicht moderner Metal? Ich weiß nicht, ich tue mich sehr, sehr schwer, nicht nur unsere Band einzuordnen, sondern alle Arten von Musik. Ich meine, es ist Metal, aber es ist anders als andere Metalarten. Es ist Power Metal … keine Ahnung, wirklich. Es ist eine Mischung aus aggressivem Pop und weichem Thrash.

Ein Freund von mir hat gesagt, In Flames seien „Göteburg-Sound“.

Ja, aber das kann man so nicht mehr sagen. Es gibt so viele Gruppen, die aus Göteburg kommen, und die klingen alle total unterschiedlich. Früher einmal, als wir uns alle viel ähnlicher klangen, war das vielleicht zutreffend, aber … ich weiß nicht, ich nenne es einfach Musik, und wir versuchen, die beste zu machen, die wir machen können.

Ihr habt ja Shows zusammen mit Shadows Fall und anderen modernen amerikanischen Metalbands gespielt. Was, glaubst du, sind die Unterschiede zwischen der amerikanischen und der europäischen Metalszene?

Ich glaube, daß die Amerikaner viel mehr verschiedene Bands haben als die Europäer – zum Beispiel gibt es all diese Bands wie Korn und Limp Bizkit, es gibt Shadows Fall, Chimaira, Killswitch Engage, und in Europa gibt es Power-Metal und Death Metal und so. Wir sind in zwei verschiedenen Welten aufgewachsen, aber ich glaube, daß viele amerikanische Bands – nicht auf dem Korn-Level, natürlich, sondern auf dem Shadows-Fall-Level – von vielen europäischen Bands beeinflußt wurden, und sie haben das dann auf ihre Seite der Welt genommen und ihren eigenen Sound geschaffen, haben ihn mit all den anderen Arten Musik verbunden, die sie hören.

Ein Review von REROUTE TO REMAIN besagte: „Es ist offensichtlich, daß die Band verstärkt die jetzigen populären amerikanischen Metal-Acts hört … Manche der Refrains klingen wie etwas, was Linkin Park oder Papa Roach spielen könnten.“ Was denkst du darüber?

Das ist okay. Ich meine, wir hören uns diese Bands an, absolut. Wir hören uns auch Iron Maiden an, Dio, Helloween, Anthrax, Metallica. Egal, wir hören uns alles an. Und das haben wir schon immer gemacht: Wir hören uns etwas an, das uns gefällt, und wir sind von allem beeinflußt, das uns gefällt. Und wir schämen uns nie, das zuzugeben. Wir denken nie, „Jetzt werden wir so klingen wie Linkin Park oder wie Iron Maiden“ – wir versuchen nur, uns von guter Musik beeinflussen zu lassen und dann gute Musik zu schreiben, die neu ist.

Es gibt ja eine Menge Diskussion über „True Metal“ und so – seid ihr da irgendwie involviert?

Nein … ich verfolge diese Diskussion natürlich. Manchmal ist das ganz interessant, manchmal ist es lästig, wenn die Leute sich so emotional damit beschäftigen, welche Art Musik andere Bands machen. Zunächst mal – und das trifft nicht nur auf In Flames zu, sondern für alle Musiker in allen Bands, die die Musik schreiben – schreiben alle freilich für sich selbst. Und dann fangen die Leute an – zum Beispiel haben eine Menge Leute Soilwork genervt, daß sie sich ausverkauft hätten. Und das ist Bullshit, ich kenne die Jungs persönlich und ich weiß, daß sie dieses Album gemacht haben, weil sie es so machen wollten. Es ist genau die Musik, die sie zu dem Zeitpunkt machen wollten. Und die Leute haben dann gesagt, sie seien nicht „true“ und so weiter, aber sie sind viel mehr „true“ als irgendeine andere Band, die ich kenne, weil sie das gemacht haben, woran sie glauben.

Ist kommerzieller Erfolg ein Thema für euch?

Es ist immer ein Thema in dem Sinn, daß wir immer mehr Leute dazu bringen wollen, die Band zu kennen, und wenn sie dann sagen, daß sie uns nicht mögen, hatten sie zumindest die Chance, sich uns anzuhören. Aber das ist nichts, auf das wir uns wirklich konzentrieren, in dem Sinne, daß wir eine bestimmte Art Musik machen, um erfolgreich zu sein. Es halt sich halt bislang so ergeben, daß die Musik, die wir machen wollten, von vielen Leuten gut gefunden wurden, und ich hoffe wirklich, daß es auch in Zukunft so ist.

Könntest du dir vorstellen, aus der Band auszusteigen und mit einer anderen Gruppe zu spielen?

Nein. Die Jungs sind meine Brüder.

Dieses Interview wurde am 18. Februar 2004 geführt und erschien zuerst am 1. April 2004 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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