Furchtfragen
Glücklich dank Reunion: Fear-Factory-Gitarrist Christian Olde Wolbers anläßlich des neuen Albums ARCHETYPE im FRITZ-Exklusiv-Interview.
Alles wichtige über das neue Fear-Factory-Album ist in der Fritz-Kritik gesagt: Kurze Trennung, flotte Reunion ohne Gitarrist Dino Cazares, und nach dem problematischen DIGIMORTAL mit ARCHETYPE ein Album vorgelegt, das die Band zurück zu ihren unkomplizierten Wurzeln bringt. Grund genug, der Gruppe ein bißchen auf den Zahn zu fühlen.
Ich spreche mit Christian Olde Wolbers, dem ehemaligen Bassisten der Band, der jetzt beim Reunion-Album ARCHETYPE zum Gitarristen aufgestiegen ist. Christian sitzt in Amsterdam, wo er heute schon über 20 Telefoninterviews gegeben hat. „Ich habe noch nie in meinem Leben so viel gesprochen“, sagt er mir. Trotz glühendem Ohr und fusselig geredetem Mund ist der humorvolle Stanley-Clarke-Fan jedoch mehr als gewillt, mir ausführlich meine Fragen zu beantworten.
Gut zu sehen, daß es Fear Factory noch gibt. Ich erinnere mich, daß ihr euch vor einem Jahr getrennt habt, und jetzt gibt es plötzlich ein neues Album. Was ist passiert?
Die Beziehung zwischen gewissen Leuten in der Gruppe fand ein Ende. Manchmal leben sich Menschen auseinander, aus verschiedenen Gründen. Burt [Burton Bell, der Sänger] entschloß sich, auszusteigen. Er wollte alles hinwerfen, weil er es nicht mehr aushielt. Und das war’s: Fear Factory waren fertig. Aber dann wollten uns Roadrunner nicht gehen lassen, weil wir immer noch unter Vertrag standen. Also konnten wir nichts anderes machen – wir wollten alle verschiedene Projekte machen. Also mußte ich einen Weg finden, damit wir vom Label loskamen, und ich wußte, wenn ich ihnen ein 4-Song-Demo für das nächste Album geben würde, als Trick – „her mit dem nächsten Scheck, unserer Vorauszahlung“ – daß sie uns wahrscheinlich rauswerfen würden. Also erzählte ich das Burt und Raymond, und sie mochten die Idee. Roadrunner brütete 8 Monate über dem Demo und versuchten, herauszufinden, was sie damit machen wollten. Und letztendlich warfen sie uns raus. Wir waren frei, runter vom Label. Und dann bekamen wir ein Angebot von einem Label, eine Fear-Factory-Platte aufzunehmen. Wir dachten: Hmmm … Wir hatten eine Menge Spaß, diese 4 Songs zu schreiben, die waren wirklich gut. Wir kamen darauf, daß es uns eigentlich gefallen hatte, zusammenzuarbeiten, also sagten wir: Machen wir ein Album. Warum nicht? Und der Vertrag ist wirklich gut. Kein Vertrag wie bei Roadrunner – wir hatten damals einen wirklich schlechten Vertrag unterzeichnet. Wir hatten eine Menge Spaß bei der Zusammenarbeit, ohne Streß, jeder war glücklich. Das hört man dem Album auch an.
Das Album klingt sehr wütend …
Ja, es ist sehr brutal!
Bei einem Song, „Cyberwaste“, schreit Burton: „Nothing you say matters to us!“ —
(lacht) Da geht es im Prinzip um Kids, die in Internet-Chatrooms Schwachsinn reden. Als wir zuerst wieder zusammenkamen, gab es zum Beispiel auf dieser Website namens Blabbermouth all diese Kids, die nur Blödsinn geredet haben, ohne zu wissen, was sie überhaupt sagen oder was überhaupt Sache ist. Keiner von denen hat überhaupt eine Ahnung. Die sitzen nur da und denken sich diesen ganzen Schwachsinn aus. Schlimmer als die Boulevardpresse.
Du bist ja jetzt „aufgestiegen“, sozusagen, und spielst jetzt Gitarre. Ihr habt also jetzt einen neuen Bassisten?
Ja, Byron Stroud von Strapping Young Lad. Wir haben ihn gefragt, ob er der Band beitreten will, und er sagte: Klar, los geht’s. Wir kannten ihn schon seit 1998, er ist ein langjähriger Freund von uns. Es war sehr einfach, ihn in die Band zu kriegen.
Wie würdest du sagen ist Fear Factory jetzt anders, wo Dino weg ist und du Gitarre spielst?
Der größte Unterschied, den ich in den letzten zwei Jahren bemerkt habe, ist der, daß wir engere Freunde geworden sind als jemals in den zwölf Jahren zuvor. Das fühlt sich wirklich gut an.
Hat das etwas geändert beim Songwriting, beim Arbeiten im Studio?
Ja, natürlich. Wir halten uns nicht im Studio auf, wir nehmen die Songs auf und basteln nicht eineinhalb Jahre an ihnen herum. Was sonst nämlich passiert, ist, daß man die ganze Energie und den Vibe verliert. Deshalb sind Slayer-Alben so großartig: Die Songs sind fertig, und dann: Zack! Ins Studio und ab geht’s. Oftmals, when man probiert, Songs über die Zeitspanne von einem ganzen Jahr zu schreiben, und Singles zu schreiben, dann müssen die Songs ein bestimmtes Format haben, und die Band wird nie wieder so klingen wie früher. Das mochte ich früher immer bei Hardcore: Das war nicht für irgendein Format geschrieben, das hatte jede Menge Energie. Ich glaube, wir haben eine Menge Fans mit DIGIMORTAL verloren. Ich wußte einfach, daß wir diesmal ein gutes, energiegeladenes Album aufnehmen mußten. Der Songwriting-Prozess war einfach, der einfachste, den ich je erlebt habe. Die Hälfte der Songs haben Raymond und ich an einem Tag geschrieben.
Ehrlich?
Ich meinte einen Song pro Tag.
Du hast von DIGIMORTAL gesprochen, und ich erinnere mich an eine Menge Kritiken, wo es hieß, daß ihr auf der Stelle tretet. Hat euch das für das neue Album beeinflußt?
DIGIMORTAL … ich bin überhaupt nicht mit diesem Album glücklich. Ich weigere mich, Songs davon live zu spielen. Naja, tut mir ja leid für jeden, der DIGIMORTAL mag, aber ihr müßt euch mit den neuen Songs oder mit älterem Material zufriedengeben.
Was ging bei DIGIMORTAL schief?
Kein Vibe. Unsere Freundschaft fiel auch auseinander. Der ganze Prozeß des Songschreibens war sehr stressig und schmerzhaft. Wenn es nicht mal mehr Spaß macht, zur Probe zu gehen oder auf der Bühne zu spielen, dann macht man sich selbst und den Fans etwas vor. Jetzt fühle ich mich wieder wie 20, als ich zuerst spielen wollte.
Das neue Album heißt ARCHETYPE – Fear Factory ist ja so etwas wie der Archetypus moderner harter Musik.
Fear Factory ist der Archetypus, weil Burt damit anfing, zu gröhlen und zu singen. Das gab es vorher nicht wirklich. Burt war der erste, der dieses wirklich harte Gröhlen hatte und den Gesang, und ich glaube, er hat den Grundstock für viele der neuen Bands gelegt. Keiner hat die Gitarren so mit dem Schlagzeug verzahnt wie wir. Manche Bands ein bißchen, aber Fear Factory hat es zu einem neuen Extrem gesteigert. Die tiefgestimmten Gitarren – die Band war so verdammt heavy, daß sie mir, als ich sie zum ersten Mal gehört habe, in den Magen getreten hat.
Viele der Bands, die ihr beeinflußt habt, sind ja mittlerweile erfolgreicher als ihr. Vor allem einige der Nu-Metal-Bands, die sogar in die Charts kamen. Glaubt ihr, daß ihr die Anerkennung kriegt, die ihr verdient?
Ich will keine Anerkennung verdienen, ich will nur, daß die Leute unser neues Album mögen (lacht). Ich versuche, bescheiden zu bleiben und mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben. Ich versuche nicht, nach Dankbarkeit und Anerkennung zu suchen. I just want to come to town and bring the roof down!
Dieses Interview erschien zuerst am 28. April 2004 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.
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