Der Fluch von Blondie
Die New-Wave-Veteranen Blondie haben ein neues Album – CURSE OF BLONDIE – und sind wieder auf Tournee. FRITZ-Mitarbeiter Christian Genzel im Exklusiv-Interview mit Blondie-Drummer Clem Burke.
Kann man über Blondie schreiben, ohne wie ein Geschichtsprofessor zu klingen? Schon Ende der 70er feierten Blondie Erfolge mit ihrem Prototyp der New-Wave-Bewegung. Rock’n’Roll, Punk und ein gehöriger Pop-Appeal machten die Musik der Gruppe aus, die vor allem durch ihre sexy Frontfrau Deborah Harry auffiel – die übrigens nicht „Blondie“ heißt, wie vielerorts angenommen wird. Mit „Heart of Glass“ und „Call Me“ hatte die Band zwei Welterfolge – und dann, nach 6 Alben, war 1982 Schluß. Gitarrist Chris Stein wurde krank, die Mitglieder verstreuten sich in alle Winde und arbeiteten an eigenen Projekten – bis sich der Kern der Truppe 1999 wieder zusammentat.
Ihr Reunion-Album NO EXIT war vor allem dank des Hits „Maria“ enorm erfolgreich – und die Gruppe um Debbie Harry, Chris Stein, Keyboarder Jimmy Destri und Drummer Clem Burke war wieder gefragt. Nach einiger Sendepause meldet sich die Band mit einem neuen Album zurück – CURSE OF BLONDIE. Anläßlich der neuen Platte und der dazugehörigen Tournee interviewe ich per Telefon Clem Burke, der gerade in Cambridge sitzt.
Clem erzählt mir ein wenig von der Tour und darüber, wie die Blondie-Sets aussehen: Alte wie neue Songs, nach Möglichkeit ein Querschnitt durch alle Alben. „Ich glaube, die Leute wollen immer noch Songs wie zum Beispiel „Heart of Glass“ hören,“ meint Clem, hebt aber auch stolz hervor, daß die neuen Songs hervorragend bei den Fans ankommen. Eine gute Überleitung zur neuen Platte, zu der ich gleich eine Frage loswerden muß, die vermutlich jeder Interviewer stellt:
Was ist der „Curse of Blondie“, der Fluch von Blondie?
Nun, der „Curse of Blondie“ ist eigentlich – naja, die Höhen und Tiefen, wenn man in einer Band ist, oder eigentlich in jedem Geschäft. Immer, wenn du glaubst, daß die Dinge großartig laufen, passiert vielleicht etwas Merkwürdiges, was alles ein wenig verrückt – so ist das Leben. Es gibt zwei Möglichkeiten, einen Fluch zu betrachten – es ist ein Segen oder ein Fluch. Da sind all die Dinge, die uns auf unserem Weg passiert sind – Chris Stein wurde krank … weißt Du, bittere Sachen, die innerhalb der Band oder im Business im Allgemeinen passiert sind – Probleme mit dem Management … man muß irgendwie damit rechnen. Es ist ein etwas ironischer Titel – es ist eigentlich nicht ernst gemeint, und es ist eine Anspielung, die auf eine Art jenseits des Offensichtlichen ist. It’s like an inside joke, really. Aber ich glaube, daß wir alle auf gewisse Art verflucht sind.
Das ist wahr.
Wenn die Buchstaben auf der Platte mit triefendem Blut versehen wären, würde man es eher als eine Art B-Film/Christopher-Lee/Vincent-Price-Ding sehen. Auf dem Album ist ein Track namens „Tingler“, der auf einen B-Horrorfilm verweist. Wir waren schon immer daran interessiert – auf dem ersten Album hatten wir einen Song namens „Attack of the Giant Ants“ … unsere Verlagsgesellschaft heißt „Monster Island“. Es gab bei uns schon immer diese Zugehörigkeit zu Monstern und Ähnlichem.
Also ist es nichts allzu Ernstes. Denn der „Curse of Blondie“ könnte ja auch sein, daß ihr im Prinzip genau das macht, was ihr vor 25 Jahren gemacht habt, und daß ihr die Vergangenheit nicht zurücklassen könnt – was ja nichts Schlechtes sein muß.
Unser letztes Album hieß NO EXIT, was der Titel eines Buches von Jean-Paul Sartre ist – das spielt auch darauf an.
Ich habe mir ein paar der neuen Songs angehört – ich hatte nicht viel Zeit, weil ich erst vor zwei Tagen von diesem Interview erfahren habe – aber ich mag das neue Album, es klingt ein bißchen, als wärt ihr nie weg gewesen. Es klingt, als hättet ihr eine Menge Spaß beim Aufnehmen der Songs gehabt.
Ja … unsere Platten waren schon immer eher eklektisch, und ich glaube, so, wie wir als Musiker wachsen, werden unsere Interpretationen der Songs manchmal extremer. Auf diesem Album haben wir viel Technologie und Synthesizer-Programme verwendet, aber prinzipiell geht es bei Blondie immer um die Songs und um die Melodie. Die meisten Blondie-Songs kann man auf einer Akustikgitarre spielen oder mit einer Zehn-Mann-Rockband, und die Melodie ist immer die starke Seite. Debbie schreibt gute Texte – es gibt mehrere Songwriter in der Band, die mit sehr interessanten … es ist komisch, ich habe gestern tatsächlich eine Blondie-Tribute-Band gesehen. Wir haben in Liverpool gespielt, und da war eine Blondie-Tribute-Band, die nach uns gespielt hat, und wir waren eingeladen, sie uns anzusehen. Zuerst dachte ich, „This is going to be really strange – ich bin gerade damit fertig, die ganzen Blondie-Songs zu spielen, also will ich sie mir nicht nochmal alle anhören“ – aber als ich dann da saß und mir die Band anhörte, fiel mir auf, wie stark die Songs sind. Hauptsächlich sind die Songs das, was die Band aufrechterhalten hat, und die Songs sind das, worum es bei der Band jetzt geht. Debbies Image, der Image der Band, die ganze New-Wave/Punk-Rock/Irgendwas-Bewegung damals – das hat uns damals den Fuß in die Tür gebracht – aber jetzt geht es hauptsächlich um die Musik. Diese Platte hat eine Menge guter Songs. Wie du gesagt hast, sie klingt, als wären wir nie weg gewesen – wir machen einfach weiter, und die Leute, die kreativen Kräfte der Band, bleiben, also ist die Art des Songwritings auch immer noch dieselbe.
Wie Du schon gesagt hast, ist Blondie sehr eklektisch, und auf jedem Album habt ihr eine Menge verschiedener Stilrichtungen. Wie passiert das – sagt ihr Euch, „Okay, wir machen einen Discosong, wir machen einen Reggaesong“, oder passiert das einfach, wenn Ihr Euch im Studio trefft und eure verschiedenen Backgrounds „kollidieren“ läßt?
Manchmal entwickeln sich die Songs – ich spiele vielleicht einen Discobeat bei einem Song, den Chris geschrieben hat, von dem er vielleicht geglaubt hat, es sei ein Reggaesong. Jeder gibt seinen Input ab. Innerhalb der Band gibt es einen gemeinsamen Nenner durch unser Leben mit der Musik, und dann sind da einzelne Personen, die stärkere Interessen an bestimmten Musikrichtungen haben. Zum Beispiel mögen wir alle Velvet Underground, die Ronettes, Iggy Pop – aber manche Leute mögen Rap lieber, andere mögen Bubblegum-Musik. Es ist ein musikalischer Eintopf, der dann in den Blondie-Sound integriert wird. Man weiß nie, was das Arrangement eines Songs auslöst, sobald der Song mal geschrieben ist – das kann von überallher kommen, von einem Synthesizerprogramm, vom Bass, vom Schlagzeug – you never really know.
Das macht die Sache ja erst spannend, oder?
Ja. Es ist ein evolutionärer Prozeß – Sachen zu erschaffen. In Blondie ist das nicht wirklich vorgefaßt oder gekünstelt, es ist eine organische Evolution der Kreativität, wenn du so willst.
Debbie und Chris schreiben eine Menge Songs, und Jimmy schreibt auch einige. Ich liege vielleicht falsch, aber ich glaube, Du hattest deinen ersten Songwriting-Credit auf NO EXIT …
Ich habe damals auch mit Jimmy einen Song namens „Poets Problem“ geschrieben. Aber, ja, ich hatte ein paar Songwriting-Credits auf NO EXIT.
Möchtest Du in Zukunft mehr Songs schreiben?
Ich muß mit anderen zusammenarbeiten, um Songs zu schreiben. Ich habe ein paar Songs geschrieben, und es ist nicht meine – sagen wir – Stärke, es ist nicht das, was ich wirklich tue, was ich beisteuere. Ich arbeite an den Arrangements mit, und ich spiele. Aber es ist großartig, ein solches Ventil zu haben.
Das beantwortet vermutlich schon meine nächste Frage. Ich wollte wissen, ob Du schon mal ein Soloalbum aufnehmen wolltest – Debbie hat ja ein paar aufgenommen, und Jimmy hatte auch mal eins.
Ja, naja, es ist schwieriger für Schlagzeuger, Soloalben aufzunehmen. Ich hatte eine Handvoll anderer Plattenverträge die Jahre hindurch, in der Zeit, wo Blondie aufgehört hatten. Ich habe lange Zeit mit den Eurythmics gearbeitet. Wir haben damals sogar im Wiener Opernhaus gespielt – ich glaube, das war 1987. Wahnsinn. Ich hatte mehrere Plattenverträge – ich hatte eine Band mit Steve Jones von den Sex Pistols, nachdem Blondie aufgehört hatten. Im Moment spiele ich hin und wieder mit Nancy Sinatra, wenn ich kann – wir haben letztens in Wien gespielt. Weißt Du, ich habe viele Ventile für das, was ich mache. Ein Soloalbum mit einer Gruppe von Freunden wäre vielleicht ganz spaßig. Vielleicht irgendwann einmal.
Ich habe mir Deine Diskographie im All-Music Guide angesehen, und mir ist aufgefallen, daß Du mit vielen Leuten gespielt hast – von Iggy Pop über Bob Dylan bis zu, wie Du schon gesagt hast, Nancy Sinatra. Beeinflußt deine Arbeit mit all diesen Leuten das, was du in Blondie machst?
Absolut. Alles, was wir außerhalb der Band machen, bringen wir mit, wenn wir zur Band zurückkommen. Das war das Interessante an der Reunion nach der Zeit, in der wir getrennt waren. Jeder hatte einzelne Lebenserfahrungen und – sagen wir – künstlerische Erfahrungen, und als wir dann wieder zusammen waren, haben wir das verwendet, was wir vorher gelernt hatten. Mit Nancy zu arbeiten hat mir die Gelegenheit gegeben, mit einer Menge interessanter Musiker zu arbeiten – Don Randi, der Teil von Phil Spectors Studioband war, und der auch auf PET SOUNDS [von den Beach Boys] gespielt hat. Ich habe Brian Wilson getroffen, mit ihm ein bißchen gearbeitet. Das alles hat mich erkennen lassen, wie großartig Debbie wirklich ist, wenn ich dann wieder mit ihr arbeite, weil sie meiner Ansicht nach genauso gut als Songwriter ist wie diese Leute. Sie ist genauso kreativ, genauso talentiert. Es ist sehr interessant, wegzugehen und zu sehen, wie – naja, jeder hat seine eigene Arbeitsweise. Manche Leute arbeiten viel effektiver als andere. Das ist immer interessant zu sehen.
Viele Leute hören Blondie und konzentrieren sich natürlich auf Debbie Harry. Mein Chefredakteur hat mir von diesem Interview erzählt und gefragt, „Du wirst mit Clem Burke reden – willst du das Interview immer noch machen oder nur mit Blondie flirten?“ – aber Blondie ist ja die ganze Band. Stört Dich das, wenn die Leute nur die Sängerin bemerken?
Nein, das ist jetzt ein Teil meines Lebens. Als ich noch ein Kind war, haben wir alle versucht, unseren Weg zu finden – das ist unvermeidlich. Ich wußte, daß das so passieren würde. Als ich Debbie und Chris traf, wollte ich mit ihnen arbeiten, weil Debbie so ein enormes Charisma hatte. Ich wußte, daß sie ein Star ist. Man muß etwas tiefer schürfen, um so manches herauszufinden. Als wir mit der Band angefangen haben, war es ja nicht so, daß jemand gesagt hätte, „Hier sind eine Million Dollar, hier sind Blondie“. Es war ein sehr beschwerlicher Prozeß. Es hat viel Zeit und Arbeit gebraucht. Und bei mir war es so, daß ich gesehen habe, was für ein – wie ich es nenne – Potential Debbie hatte, und deshalb wollte ich mit ihr arbeiten. Ich wußte schon früh, daß sie ein Star werden würde. Das will man ja auch – die Rolling Stones haben Mick Jagger, die Spiders From Mars hatten David Bowie, Velvet Underground hatten Lou Reed – so ist das halt.
Ich nehme an, die Leute schauen generall auf den Frontmann, auf den Sänger der Band.
Ja. Es traf sich halt, daß Debbie außergewöhnlicher war als manch andere. Sie war natürlich eine sehr schöne Frau, sie ist sehr attraktiv. Es war damals auch ein ganz anderes Phänomen – es gab nicht viele Frauen im Rock’n’Roll, oder solche, die genau das gemacht haben, was Debbie machte. Weißt Du, wir kommen von einer Punk-Rock-, aber auch von einer Glitter-Glam-Rock-Ästhetik. Punk-Rock war irgendwie … Television … für mich war das nicht sehr glamourös. Wenn man sich Glam-Rock ansieht, Leute wie Marc Bolan oder David Bowie oder Steve Harley – das ist das, was Debbie für mich repräsentierte. Ich wollte mit jemandem arbeiten, der diese Star-Qualität hatte.
Das hat einen leicht theatralischen Touch, nicht wahr?
Ja – wir kamen aus einer Szene in New York, die sich „Club 82“ nannte – eher so eine Glam-Rock-Sache, wo wir alle abhingen, noch vor CBGB. Weißt Du, Teil des Geheimnisses um Blondie ist ja die Irritation darüber, was Blondie eigentlich ist. Blondie ist eine Bubblegum-Band, oder ist Blondie eine Punk-Rock-Band? Ist Blondie diese blonde Frau, oder ist Blondie eine Discoband? Viele Leute sind sich nicht wirklich sicher, und ich glaube, dadurch bleibt es interessant.
Ich nehme an, es ist ein bißchen von allem.
Ja, das geht einher mit dem Eklektizismus der Musik – die Leute konzentrieren sich auf verschiedene Dinge zu verschiedenen Zeiten. Ich glaube, es bleibt dadurch interessant. Und ich glaube, das hat etwas mit unserer Langlebigkeit zu tun.
Ich bemerke, daß uns die Zeit davonrennt – das eigentlich für maximal 15 Minuten gedachte Interview dauert jetzt schon über 17. Clem versucht, das Interview zu einem Ende zu bringen – „Wir freuen uns wirklich darauf, in Wien zu spielen“ – aber ich überrede ihn, noch ein paar Fragen zu beantworten.
Du hast bereits ein paar Leute genannt, die wohl musikalische Einflüsse für Dich sind. Findest Du auch Inspiration in anderen Küsten, wie Büchern oder Filmen?
Ja, klar. Natürlich. Wie ich schon sagte, der Titel unseres letzten Albums, NO EXIT, basiert auf dem Buch von Jean-Paul Sartre. „Monster Island“, unsere Verlagsgesellschaft, war ein Film mit diesem Titel. Inspirationen findet man in vielerlei Hinsicht – in Blondie ist das ein wenig abgeschottet, viele Bandmitglieder finden ihre Einflüsse nicht in anderer Musik, sondern in Büchern und so. Ich glaube, daß ist in vielerlei Hinsicht offensichtlich – die Bezugspunkte kommen von überallher. Und ich glaube, daß man Kreativität beinahe überall finden kann – Poesie kann man in fast allem finden, wenn man danach sucht. Ich meine, es ist Poesie in einem schön gemachten Tisch, weißt Du? Kreativität kommt von überall her, man muß nur aufnahmebereit sein.
Wie wahr, wie wahr. Was sind denn eure Zukunftpläne? Werdet ihr ein weiteres Blondie-Album aufnehmen?
Ja, unsere nahen Zukunftspläne sind die, daß wir erstmal bis Ende nächsten Sommers auf Tour sein werden. Wir haben eine große US-Tour, wir werden auf einigen Festivals in Europa spielen, dann eine US-Tour im März … und dann, ja, dann nehmen wir eine neue Platte auf – wir haben einen Vertrag für noch eine Platte mit unserer Plattenfirma, also nehmen wir noch eine Platte auf. Hoffentlich wird das nicht so lang dauern wie mit der letzten – ich glaube, wir haben ein wenig an Fahrt verloren zwischen den Aufnahmen zu NO EXIT und denen zu CURSE OF BLONDIE, mit dem Erfolg von „Maria“ in vielen Gebieten. Es hat lange gedauert, einen Nachfolger zu machen. Ich glaube, das war ein bißchen nachteilig für uns, aber Kreativität – denn darüber reden wir hier – kann man nicht erzwingen. Wir freuen uns einfach, daß wir immer noch dabei sind und … wir freuen uns, daß die Musik weiterlebt.
Ich glaube, es ist besser, sich ein wenig Zeit zu nehmen und ein gutes Album zu produzieren, als unter Zeitdruck eins herauszubringen, das dann nicht wirklich von Herzen kommt.
Richtig, richtig.
Und wo siehst Du dich selbst in 15 oder 20 Jahren?
15 oder 20 Jahre? Das ist eine interessante Frage. Ich bin dann hoffentlich noch am Leben. Das ist eigentlich alles, worauf ich hoffen kann. Weißt Du, viele Leute aus unserer Zeit gibt es nicht mehr – Johnny Thunders, DeeDee Ramone oder Joey Ramone … Rock’n’Roll scheint im Moment eine hohe Sterberate zu haben. Ich hoffe, das trifft uns nicht.
Dieses Interview wurde am 14. Dezember 2003 geführt und erschien zuerst am 22. Dezember 2003 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.
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