Am 1. Juli 1981 kamen in einem Apartment in Laurel Canyon vier Menschen auf grausame Weise ums Leben, eine fünfte Person überlebte mit schwersten Verletzungen. Die Opfer gehörten zur sogenannten „Wonderland Gang“, einer Drogenschieberbande, die zuvor den lokalen Gangsterboss Eddie Nash ausgeraubt hatte. Wer genau für die Morde verantwortlich ist, bleibt ungeklärt – aber es kann davon ausgegangen werden, daß es sich um einen Racheakt für den vorangegangenen Diebstahl handelte. Und: Auf irgendeine Weise war Pornodarsteller John C. Holmes in die Sache verwickelt, der in den Siebzigern mit seinem 33-Zentimeter-Penis berühmt wurde und zur Zeit der Morde in einem tiefen Drogensumpf steckte.
2003 stellte Regisseur James Cox die Geschichte in dem Thriller WONDERLAND nach. Der begeht gleich mehrere Fehler – und es ist beinahe faszinierend, daß die überhaupt zusammenpassen. Einerseits hält uns der Film mit mehreren möglichen Tathergängen auf Trab, nur um dann am Schluß tatsächlich eine Erklärung für die in Wirklichkeit nie aufgelösten Geschehnisse anzubieten. Zur gleichen Zeit schafft es der verschachtelt erzählte Film, daß man hinterher auch nicht mehr über die Wonderland-Morde weiß als vorher.
Gangster David Lind (Dylan McDermott, links) erzählt der Polizei seine Version der Wonderland-Geschichte. |
Der Ansatz des schick inszenierten Films ist der, die Chronologie aufzubrechen und erst ein überlebendes Mitglied der Gang im Polizeiverhör von den Geschehnissen berichten zu lassen, bevor dann John Holmes in einem separaten Verhör eine andere Version der Ereignisse berichtet. Zum Schluß erhalten wir aber noch Informationen, aus der sich eine plausible Variante ableitet. Das Rätsel steht hier also weit mehr im Vordergrund als etwaige Einblicke in die handelnden Personen.
Überhaupt wirken viele Figuren nur wie Chiffren, sogar John Holmes bleibt ein Spielball der Erzählweise. Die erste Hälfte registrieren wir ihn nur als zugekoksten Gauner, der irgendwie auch zu der Geschichte gehört – und wenn seine Figur dann später größeren Raum einnimmt, liegt der Fokus ja schon längst auf widersprüchlichen Berichten und nicht auf dem, was tatsächlich in Holmes vorgehen könnte.
John Holmes (Val Kilmer) und seine hörige Freundin Dawn (Kate Bosworth). |
Die interessantesten Szenen sind die mit den beiden Frauen in Holmes‘ Leben: seine Ehefrau Sharon, die von ihm getrennt lebt und seinen ständigen Eskapaden satt hat, aber sich manchmal doch überreden lassen kann, ihm zu helfen, und seine junge Freundin Dawn, die ihm so hörig ist, daß sie sich von ihm sogar prostituieren läßt. Tatsächlich will Holmes mit beiden Frauen zusammen ins Zeugenschutzprogramm – und in den Szenen, in denen spürbar wird, warum Sharon und Dawn sich immer wieder in Holmes‘ Wahnsinn hineinziehen lassen, zeigt der Film seine besten Momente. Die Frauen sind hier die komplexesten und spannendsten Figuren, und an ihnen merkt man, welch dramatisches Potential WONDERLAND gehabt hätte.
Leider wird auch davon einiges durch die Erzählweise verschenkt: Wenn sich Dawn von Holmes für eine Nacht an Eddie Nash verkaufen läßt, weil Holmes Geld für Drogen braucht, dann verpufft die Wirkung dieser Abgründe, weil die Szenen als Rückblenden einer Erzählung eingebaut sind und der eigentliche Inhalt der Sequenz gerade ein anderer ist.
Gangster Eddie Nash (Eric Bogosian, rechts) trifft John Holmes (Val Kilmer) und eins seiner Groupies (Paris Hilton). |
Letztlich kriegt man das Gefühl, daß Cox und sein Co-Autor Captain Mauzner schlichtweg die Faszination der Ausgangsgeschichte überschätzt haben. Das Rätsel um den Tathergang der Wonderland-Morde ist nicht sehr spannend: Was immer passiert ist, es dreht sich um zwei Gangsterbanden, von denen die eine sich an der anderen gerächt hat. Wie sie Zugang zum Apartment hatten oder welche Bandenmitglieder genau beim Angriff dabei waren, stellt kein interessantes Mysterium dar – vor allem nicht in einem Film, der an den einzelnen Personen gar nicht interessiert ist.
Man kriegt den Verdacht nicht los, daß sich die Öffentlichkeit wenig um die Wonderland-Morde scheren würde, wenn nicht ausgerechnet ein legendärer Pornohengst auf irgendeine Weise involviert gewesen wäre. Auch in Bezug auf ihn kümmert sich der Film mehr um die Frage „War er dabei?“ als um die viel spannenderen Themen – zum Beispiel, wie Holmes so tief nach unten fallen konnte.
Fast alles an Holmes‘ Geschichte ist erschütternder als das, was hier als verzahntes Gangster-RASHOMON aufgezogen wird. Man würde sich wünschen, ein Drama über ihn und seine Frauen zu sehen, einen Horrortrip der Abhängigkeiten, in dem Wonderland dann nur am Ende eines langen Absturzes auftaucht.
Mehr über John C. Holmes auf Wilsons Dachboden:
WADD: THE LIFE AND TIMES OF JOHN C. HOLMES: Der tiefe Fall eines verlorenen Pornostars
Regie: James Cox
Buch: James Cox, Captain Mauzner, Todd Samovitz, D. Loriston Scott
Musik: Cliff Martinez
Kamera: Michael Grady
Darsteller: Val Kilmer, Kate Bosworth, Lisa Kudrow, Josh Lucas, Tim Blake Nelson, Dylan McDermotte, Christina Applegate, Eric Bogosian, Carrie Fisher, Janeane Garofalo, Faizon Love, Natasha Gregson Wagner, M.C. Gainey, Paris HiltonDie Screenshots stammen von der DVD (C) 2005 Paramount.