In einer Szene von RESIDENT EVIL steht die Heldin einer Horde von Zombie-Hunden gegenüber. Sie kann fast alle dieser angreifenden Monster wegschießen, nur für den letzten fehlt die Munition. Auf der Flucht vor dem Untier federt sie sich im Laufen von einer Wand ab, dreht sich um 180 Grad und schaltet die Bestie in poetischer Zeitlupe mit einem fliegenden Fußtritt aus. Das Publikum im Münchner Cinema, wo ich den Film 2002 gesehen habe, brach in spontanen Beifall aus. Für eine Wertschätzung der Reize dieses B-Movie-Spektakels muß man gar nicht tiefer graben.
Ursprünglich war für die Verfilmung der Computerspielreihe RESIDENT EVIL, in denen sich der Spieler durch Horden von Untoten kämpfen muß, Zombie-Großvater George Romero vorgesehen. Dessen Skript fand aber wenig Gegenliebe, woraufhin der britische Regisseur Paul W.S. Anderson angeheuert wurde – immerhin hatte der es ja 1995 schon geschafft, aus dem Prügelspiel MORTAL KOMBAT eine ganze Spielfilmhandlung herauszuquetschen. Es ist wohl passend, daß Romeros Einfluß dennoch maßgeblich in RESIDENT EVIL zu spüren ist: Anderson zitiert dessen Zombie-Klassiker immer wieder und lässt die Monsterhorden hungrig an den Glaswänden kratzen wie seinerzeit in Romeros ZOMBIE.
Die Romero-Zombies fressen sich durch RESIDENT EVIL. |
An die Horror-Egoshooter, die dem Film als Vorbild dienten, lehnt sich Anderson nur lose an. Dennoch ist sein Film eine präzise Videospieladaption – nicht die eines bestimmten Spiels, sondern die des Spielgefühls. Statt einer Handlung gibt es eine Prämisse, eine perfekt dystopische Albtraummär von der weltumspannenden Organisation, die in alle Bereiche des Lebens eingreift: die Umbrella Corporation, deren Logo hier sogar auf Munitionshülsen und Eheringen zu sehen ist. Diese Firma züchtet heimlich einen Virus als Waffe, und als der entkommt und die Menschen in Untote verwandelt, muß eine Spezialeinheit in die Untergrundlaboratorien eindringen und nach dem Rechten sehen. Also kämpft die Truppe gegen Monster und noch mehr Monster, rückt Level um Level tiefer ins Herz der Umbrella-Zentrale vor und muß sich letztlich sogar einem Endboss stellen.
Auch die Heldin der Geschichte ist die perfekte Spielfigur: Es ist eine Frau namens Alice, die ohne Gedächtnis in einem mondänen Herrenhaus erwacht, wo sie wenig später vom Spezialteam aufgesammelt und in die Umbrella-Labore mitgenommen wird. Wie der Avatar eines Games funktioniert sie als Platzhalter: Wir lernen die Welt über sie kennen, weil wir ebenso wie sie in den jeweiligen Moment geworfen werden. Erst, wenn es für die Zusammenhänge erforderlich ist, erfahren wir in kurzen Flashbacks, die wie die Cut-Scenes in Spielen eingeworfen werden, etwas über ihre Vergangenheit – was Alice in ihrem Amnesiezustand freilich wie der Zuseher auch in diesem Moment als neue Information erfährt.
Heldin ohne Vergangenheit: Alice (Milla Jovovich) erwacht ohne Gedächtnis. |
Kein Wunder, daß alles, was passiert, einer gewissen Spielelogik zu folgen scheint. In einem Korridor sehen sich die Kämpfer mit einem tödlichen Laser konfrontiert, der mehrfach durch den Gang geschickt wird – und sich beim dritten Durchgang zu einem Gitternetz verdichtet, das kein Entkommen ermöglicht. In Wirklichkeit wäre es absolut ineffizient, wenn ein Computerprogramm zur Abwehr von Feinden erst im dritten Anlauf seine Feinde ganz sicher erwischt – aber RESIDENT EVIL funktioniert eben nach Spielprinzip, wo stetige Steigerung des Schwierigkeitsgrades völlig plausibel erscheinen. Sogar ein Zeitlimit bedroht unsere Helden: 60 Minuten, nachdem der Umbrella-Hauptcomputer die Laboratorien nach dem Ausbruch des Virus abgeschottet hat, wird er sie nochmal abschotten – oder doppelt, oder konsequenter. Es macht keinen Sinn im richtigen Leben, aber fühlt sich für jeden Spieler wie eine vertraute Gegebenheit an – und wenn er bislang nur SUPER MARIO BROS. gespielt hat.
Daß das nicht nur funktioniert, sondern sogar mitreißen kann, liegt daran, daß sich Regisseur Paul W.S. Anderson als geschickter Actionstilist entpuppt. Der Tiefgang ist nicht seins: Die Figuren sind bestenfalls bloße Typen, Subtext ist nur Ballast, die Oberfläche ist der Inhalt. Dafür inszeniert er packende Action- und Spannungssequenzen, die er mit Kreativität zu perfekt getimten, absurden Miniaturen formt. Speed Ramps, Industrial-Soundtrack, gestylte Lässigkeit: Bei Anderson hebt sich jeder Moment über die schnöde Wirklichkeit hinweg. Alleine schon, wie er Milla Jovovich als Alice mit entrückt elegantem Kleid in Szene setzt, als würde sie sich als Modelprinzessin durch ein Horrormärchen kämpfen, ist berauschend – und diente dem Kollegen Len Wiseman als definitive Inspiration für den Fetisch-Look seiner UNDERWORLD-Filme.
Die Prinzessin im Horror-Wunderland: Alice (Milla Jovovich). |
Gleichzeitig zitiert sich Anderson eifrig durch die Filmgeschichte – wie er selber auch freimütig im Audiokommentar zugibt: Für den Laser-Korridor war er von CUBE inspiriert, während anderswo ein Bild aus dem spanischen Arthouse-Film GOYA IN BORDEAUX als Vorlage diente. Auch der seinerzeit so populäre „Bullet Time“-Effekt aus der MATRIX wird verwendet. Als größtes Vorbild diente neben den Romero-Filmen wohl ein Actionklassiker, der ebenfalls ein bewaffnetes Spezialteam in die Monsterhöhle entsandte: James Camerons ALIENS, der hier nicht nur im generellen Aufbau, den Giger-haften Schläuchen im geheimen „Zombiezentrum“ und der wehrhaften Heldin seine Entsprechung findet, sondern sogar mit Fingern aus einem Gitter am Boden à la DER DRITTE MANN zitiert wird. (Cameron nannte RESIDENT EVIL in einer Reddit-Session übrigens sein „favorite guilty pleasure“.)
„Umherschwankende Zombies (u.a. Heike Makatsch!) mögen in den 70ern Angst verbreitet haben, heute höchstens Amüsement“, schrieb Daniel Ramm über RESIDENT EVIL in der Cinema 3/02. Er konnte nicht ahnen, daß sich dieses kleine B-Movie (zusammen mit Danny Boyles 28 DAYS LATER) zu so einem Renner entwickeln sollte, daß nicht nur diverse Fortsetzungen entstanden, sondern auch eine neue Zombiewelle losgetreten wurde, die selbst 15 Jahre später noch jedes Jahr Dutzende an neuen Filmen heranschwappt. So gesehen kann Anderson im Stammbaum der Zombie-Pioniere also doch noch einen Platz in der Nähe von Romero einnehmen.
Die RESIDENT-EVIL-Retrospektive auf Wilsons Dachboden:
RESIDENT EVIL: APOCALYPSE – Alles anders im nächsten Level
RESIDENT EVIL: EXTINCTION – MAD-MAX-Zombies und Genderklischees
RESIDENT EVIL: AFTERLIFE – Neue Levels, neue Identitäten
RESIDENT EVIL: RETRIBUTION – Der Kampf durch die Erlebniswelt
RESIDENT EVIL: THE FINAL CHAPTER – Die letzte Reise ins Labyrinth der Identitäten
Regie: Paul W.S. Anderson
Buch: Paul W.S. Anderson
Kamera: David Johnson
Musik: Marco Beltrami & Marilyn Manson
Darsteller: Milla Jovovich, Michelle Rodriguez, Eric Mabius, James Purefoy, Colin Salmon, Heike Makatsch
Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2003 Universum Film GmbH & Co. KG.
Gebe dir in allen Punkten Recht. Auch wenn mir der Teil nicht gefallen hat, wo sie geclont war zu Hunderten. Fällt gerade nicht ein welcher das war. Nächste Woche ist deshalb schon ein fixer Kinotermin geplant
Liebe Grüße
Die Alice-Klone tauchen in Teil 3 auf, in Teil 4 findet dann der Kampf der Alice-Armee statt. Ich fand das ein hübsch absurdes Konzept – und im Hinblick auf den Spielebackground sind die Klone vielleicht die perfekte Visualisierung von Extraleben 🙂