Es scheint, als würde Alice nie aus ihrem Horror-Wunderland herausfinden: Zusammen mit ihren zahlreichen Klonen, die sie am Ende von RESIDENT EVIL: EXTINCTION in den Laboratorien von Umbrella fand, zieht sie in Tokyo in den Kampf gegen Umbrella-Chef Wesker. Leider vergebens: Sein Hauptquartier kann zwar (unter Opfer sämtlicher Klone) vernichtet werden, Wesker selber entkommt aber – und kann Alice mithilfe eines Serums ihre übermenschlichen Fähigkeiten entziehen. Sie ist wieder ein normaler Mensch, nicht mehr das hochgezüchtete Forschungsprojekt von Umbrella.
So streift sie einmal mehr durch das postapokalyptische Land, das schon lang von den Zombies überlaufen wurde, und sucht nach der rettenden Kolonie Arcadia, zu der ihre Gefährten in EXTINCTION aufgebrochen waren. In den Ruinen von Los Angeles findet sie in einem Hochsicherheitsgefängnis einige Überlebende, die sich dort verschanzt haben. Von ihnen erfährt Alice die Wahrheit über Arcadia: Es ist ein Schiff, das die Küste entlangfährt, um Menschen zu retten. Aber wie kommt die Gruppe bis dorthin, wenn das Gefängnis von Tausenden von Zombies belagert wird?
Neue Herausforderungen am Horizont für Claire Redfield (Ali Larter), Alice (Milla Jovovich), K-Mart (Spencer Locke) und Chris Redfield (Wentworth Miller, v.l.). |
Auch RESIDENT EVIL: AFTERLIFE, der vierte Teil der Zombie-Saga, folgt dem Prinzip der Vorgänger: Romero-Zombies treffen auf einen munteren Mix aus verschiedensten Filmzitaten und einigen Videospielzutaten. Hauptinspiration ist diesmal – neben George Romeros Klassiker ZOMBIE – wie schon beim zweiten Teil APOCALYPSE ein John-Carpenter-Film: Dort war es das urbane Setting von DIE KLAPPERSCHLANGE, das als Vorlage diente, hier ist es der (seinerseits teils von Romeros DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN inspirierte) Thriller ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT, dessen Geschichte vom verlassenen Polizeirevier, das von einer brutalen Gang belagert wird, hier deutlich zu spüren ist. Neben einem Gefangenen, dem die anderen Überlebenden in der Notsituation vertrauen müssen, wird unter anderem das Bild der zugeworfenen Waffe gleich zweimal zitiert (Carpenter wiederum verwies damit auf den Hawks-Western PANIK AM ROTEN FLUSS: Die Filmgeschichte ist ein Labyrinth aus sich widerspiegelnden und weitergereichten Bildern und Motiven). Außerdem klingt Carpenters DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT an, wenn sich manche Zombies und die wiederkehrenden Zombiehunde aus dem alten Körper heraus in neue Kreaturen verwandeln.
Interessant ist bei all den Querverweisen – manche konstant in der Reihe, andere erstmals hinzugezogen oder anders konfiguriert – nicht nur, wie sich die Identität der einzelnen Filme immer wieder neu zusammenfügt, sondern auch, wie die Identität der Hauptfigur dabei als ebensolche Variable behandelt wird. Schon im ersten Teil war Alice durch eine Amnesie von ihrer Vergangenheit gelöst: Sie war ein weißes Blatt, das nur mit den Geschehnissen befüllt wird, die wir ab sofort mit ihr erleben. Selbst die Flashbacks wiederkehrender Erinnerungen haben ihr keine Geschichte gegeben, sondern funktionierten rein zur Bestimmung einer Identität, die auch im Jetzt relevant ist: Die Umbrella-Security-Angestellte wird zur Rebellin gegen den omnipotenten „Big Brother“.
Umbrella-Chef Albert Wesker (Shawn Roberts) tritt diesmal persönlich zum Kampf an. |
In den Fortsetzungen wurde an Alice dann experimentiert, sie bekam übernatürliche Fähigkeiten wie die Telekinese, sie wurde von Umbrella ferngesteuert, zur Waffe herangezüchtet und geklont – und hier in AFTERLIFE wieder zum Mensch gemacht. Es ist ein stetiger Angriff auf ihre Selbstbestimmtheit, ein dauernder Wandel dessen, was diese vergangenheitslose Frau nun eigentlich ausmacht – und es ist wohl passend, daß Paul W.S. Anderson, das Mastermind der Filmreihe, die Zombieapokalypse selber im Kontext einer Identitätsfrage sieht: „In the modern world, there’s a real genuine fear of loss of individuality and I think the undead speak to that“, erklärte er die Popularität des Genres im Interview mit Collider.
Nachdem er bei APOCALYPSE und EXTINCTION zwar als Autor und Produzent die Reihe weiterbetreute, aber die Regie an Alexander Witt bzw. Russell Mulcahy abgab, übernahm Anderson für diesen vierten Teil auch wieder selber die Inszenierung – und konnte die Filmserie damit zu neuen Höhenflügen pushen. Freilich ist die Handlung so schlicht und gleichzeitig konstruiert wie eh und je, und freilich werden zahlreiche Figuren erneut nicht mal als Typen registriert, sondern bleiben reine Bilder, die sich nur über den Schauspieler definieren, der sie verkörpert. Und ja, Bösewicht Wesker wirkt mit seiner angeschraubten Sonnenbrille als Mischung aus MATRIX-Agent Smith und Videospielheld Duke Nukem so künstlich und steif, daß es einen nicht wundern würde, wenn er sich als reine Computeranimation entpuppen würde.
Claire Redfield (Ali Larter) im Kampf gegen den Henkerszombie. |
Dennoch: Was Anderson, seit jeher schon ein Actionstilist ohne Interesse an schnödem Realismus, in RESIDENT EVIL: AFTERLIFE an Bildern und Sequenzen designt, ist bemerkenswert. Ein ums andere Mal entreißt er die Action den Fesseln der Physik, orchestriert sie unter massivem Einsatz von Zeitlupen und stylisch komponierten Bildern – alleine schon die brillante Sequenz, in der Alice und ihre Gefährtin Claire Redfield in einem Waschraum in Slow Motion gegen ein gigantisches Henkersmonster kämpfen, während aus kaputten Rohren Wasserfontänen herausschießen und auf sie niederprasseln, zeigt, wie Anderson seine Welt zur fast surreal artifiziellen Choreographie formt.
Ursprünglich wollte Anderson in RESIDENT EVIL: AFTERLIFE zum ersten Mal ein optimistisches Ende setzen, ließ sich aber umstimmen. So kann Alice auch hier nur wenige Sekunden lang die Stimme der Hoffnung sein, bevor der nächste Angriff der Umbrella Corporation sie wieder beansprucht. Mal sehen, welche Identität die im nächsten Level für sie angedacht haben …
Die RESIDENT-EVIL-Retrospektive auf Wilsons Dachboden:
RESIDENT EVIL: Zombie-Zitate mit Spielelogik
RESIDENT EVIL: APOCALYPSE – Alles anders im nächsten Level
RESIDENT EVIL: EXTINCTION – MAD-MAX-Zombies und Genderklischees
RESIDENT EVIL: RETRIBUTION – Der Kampf durch die Erlebniswelt
RESIDENT EVIL: THE FINAL CHAPTER – Die letzte Reise ins Labyrinth der Identitäten
Resident Evil: Afterlife (Deutschland/Frankreich/USA/Kanada 2010)
Regie: Paul W.S. Anderson
Buch: Paul W.S. Anderson
Kamera: Glen MacPherson
Musik: tomandandy
Darsteller: Milla Jovovich, Ali Larter, Kim Coates, Shawn Roberts, Boris Kodjoe, Wentworth Miller, Spencer Locke, Sienna Guillory, Kacey Barnfield, Sergio Peris-Mencheta