FilmRetrospektive

LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN: Mehr Shaft, weniger Shaft

„You liked it before, so he’s back with more“, tönt es vom Plakat: Ein Spruch, mit dem sich so ziemlich jede Fortsetzung selbstbewußt ankündigen könnte (abgesehen vielleicht von HALLOWEEN III). Nachdem SHAFT 1971 bei nur $500.000 Produktionskosten $13 Millionen einspielen konnte und mit Isaac Hayes‘ Titelsong einen wegweisenden Nummer-Eins-Hit abwarf, mußte schnell eine Fortsetzung her. Wie praktisch, daß sich die Hauptfigur John Shaft gleich sowohl als Privatdetektiv im klassischen Roman-Serienstil als auch als Bond-ähnlicher Superheld vorgestellt hatte: So einen Mann kann man problemlos immer wieder in neue Fälle und Abenteuer stürzen. Und so startete schon im Juni 1972 mit SHAFT’S BIG SCORE! (bei uns LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN) eine Fortsetzung, die „back with more“ ist und doch weniger bietet.

Wieder gerät Shaft ins Kreuzfeuer zweier rivalisierender Banden: Ein Freund von Shaft, der eine praktische Verbindung aus Bestattungsunternehmen und Versicherungsgesellschaft führt, wird von seinem Geschäftspartner John Kelly umgebracht. Der spielsüchtige Mörder schuldet dem Gangsterboss Mascola Geld und wollte ihn mit dem von der Firma erwirtschafteten Geld ausbezahlen, aber das wurde in weiser Voraussicht versteckt. Weil Kelly versucht, das Geld stattdessen vom rivalisierenden Gangsterboss Bumpy Jonas zu holen und ihm dafür ebenso wie Mascola die Hälfte der Firma versprochen hat, treten nun mehrere Parteien auf den Plan, die allesamt bereit sind, für das Geld über Leichen zu gehen.

Kelly (Wally Taylor, links) macht einen Deal mit Gangster Mascola (Joseph Mascolo) …

Man merkt LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN den Erfolg seines Vorgängers an: Der Film ist weit aufwendiger gestaltet als noch der erste SHAFT. Die Breitleinwand-Bilder sind stimmungsvoll ausgeleuchtet, die Kamera gleitet sorgfältiger durch die Szenen – und die Actionsequenzen wurden immens aufgerüstet. Schon im ersten Teil trat Shaft als schwarzer Über-Bond auf, was Haltung und Lässigkeit anging, aber die Geschehnisse blieben bodenständig und mit roher Direktheit inszeniert. Das Budget erlaubte nicht viel, die Action spielte sich nur in kurzen Ausbrüchen auf beengtem Raum ab. Diesmal dagegen wird Shaft mit spektakulärem Finale zum tatsächlichen Bond, der sich quer durch die Stadt eine wilde Autoverfolgungsjagd und eine Hetzjagd mit zwei Männern in einem Helikopter liefert.

Als Eskapismus funktioniert der Film somit weit geschmeidiger als der erste Teil – vor allem die letzten zwanzig Minuten bieten mitreißenden Thrill. Aber auch sonst findet Regisseur Gordon Parks immer wieder Gelegenheit, sein Photographengespür spielen zu lassen – sei es bei einer Schießerei auf einem schneebedeckten Friedhof oder in einer Kneipe, wo Shaft zusammengeschlagen wird, während zwei kostümierte Frauen hypnotisch tanzen. Auch Richard Roundtree geht erneut in der Hauptrolle auf und liefert mit jedem Blick eine kraftvolle Auseinandersetzung mit seinem Gegenüber.

… und einen zweiten mit dem rivalisierenden Gangster Bumpy Jonas (Moses Gunn, links, mit Drew Bundini Brown).

Aber bei allem, was hier mehr aufgefahren wird, fallen doch alle anderen Aspekte des Erstlings komplett beiseite. In SHAFT nutzte Parks den nicht immens packenden Plot dafür, soziale Wirklichkeiten anklingen zu lassen, Eindrücke von den Reibungen zwischen Schwarz und Weiß zu zeigen, und ein Territorium zu erobern, auf dem Schwarze zuvor nur als Nebenfiguren agierten. In LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN ist von all dem nichts mehr zu spüren. Das Subversive des ersten Films ist hier schon dem reinen Oberflächenspektakel gewichen.

Dem fällt vor allem die realistische Erdung der Figuren zum Opfer. Shaft wird nicht mehr wie Sam Spade im spartanisch eingerichteten Büro aufgesucht, sondern gleich aus dem Bett geklingelt, wo er sich gerade wie Bond mit einer Schönheit vergnügt. Der fast durchgehend in Brauntönen gehaltene raue Straßen-Look des Vorgängers ist einer farbenfroheren Hochglanz-Version gewichen. Auch die leisen Zwischentöne sind Vergangenheit: In SHAFT durfte beispielsweise der skrupellose Gangsterboss Bumpy Jonas noch eine menschliche Seite zeigen, als er sich ganz ernsthaft um seine Tochter sorgte: „I can always get more money. I only got one baby.“ (Der Satz funktioniert als Spiegel zum weit zynischeren Sam-Spade-Vorbild DIE SPUR DES FALKEN, wo der Gauner Gutman seinen Ziehsohn für die wertvolle Falkenstatue verrät: „If you lose a son, it’s possible to get another. There’s only one Maltese Falcon.“) In LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN existiert Bumpy nur noch für den Plot. Das betrifft sogar John Shaft selber: Im ersten Film gab er noch einem Jungen auf der Straße Geld für Essen, aber hier entfällt durch das Ausklammern der realistischen Welt auch jede Möglichkeit, zu zeigen, wie er zu dieser steht.

Kuscheliger als ein schnödes Büro: Shaft (Richard Roundtree) nimmt seinen neuen Auftrag im Bett an.

Immerhin kann man die pure Existenz der Figur John Shaft im Jahr 1972 noch als politisches Zeichen werten. „Ghetto kids were coming downtown to see their hero, Shaft, and here was a black man on the screen they didn’t have to be ashamed of“, erzählte Gordon Parks 1972 im Interview mit Roger Ebert. „We need movies about the history of our people, yes, but we need heroic fantasies about our people, too. We all need a little James Bond now and then.“ Interessanterweise waren diese schwarzen Bond-Phantasien so erfolgreich und sprachen mit ihrem immensen Selbstbewußtsein den Zeitgeist so stark an, daß der „echte“ Bond im darauffolgenden Jahr mit LEBEN UND STERBEN LASSEN selber nach Harlem kam und dort in ein schwarz geprägtes Abenteuer stolperte.

So gesehen sind SHAFT und LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN zwei Seiten derselben Münze: Beide präsentieren ihren selbstbewußten schwarzen Helden als Statement einer Gesellschaft im Umbruch. Der erste Teil setzt ihn in eine realistische Umgebung und lässt ihn dort anecken, im zweiten ist er eine Selbstverständlichkeit – weil es eigentlich keine Frage sein sollte, welche Hautfarbe er überhaupt hat. Vielleicht mußte er gerade deswegen 1972 in einer von der tristen Wirklichkeit befreiten Filmwelt leben.

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Liebesgrüße aus Pistolen (USA 1972)
Originaltitel: Shaft’s Big Score!
Regie: Gordon Parks
Buch: Ernest Tidyman
Kamera: Urs Furrer
Musik: Gordon Parks
Darsteller: Richard Roundtree, Moses Gunn, Drew Bundini Brown, Joseph Mascolo, Kathy Imrie, Wally Taylor, Julius W. Harris, Rosalind Miles

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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