Die Kamera schwebt über dem Times Square und taucht dann in die Straßen ein, beobachtet das Treiben auf der 42nd Street mit ihren zahlreichen Kinos – manche bewerben Filme wie den Burt-Lancaster-Western MIT EISERNEN FÄUSTEN, andere zeigen Sexstreifen wie HE AND SHE. Auf dem Soundtrack zischen plötzlich Hi-Hats einen unnachgiebigen Funk-Rhythmus, Wah-Wah-Gitarren treiben schnalzend das Tempo voran – und dann steigt ein schwarzer Mann mit braunem Ledermantel und beigem Rollkragenpullover die Stufen einer U-Bahn-Station empor. Die Kamera wechselt in eine Untersicht und zeigt sein ernstes Gesicht als Heldenporträt. Es ist die Geburt von John Shaft, der das Actionkino an sich reißen wird.
SHAFT war 1971 der Film, der das schwarze Kino zur Sensation machte. Ossie Davis und Melvin van Peebles hatten zuvor den Grundstein gelegt, ersterer mit der Cop-Komödie WENN ES NACHT WIRD IN MANHATTAN, letzterer mit dem kontroversen Actiondrama SWEET SWEETBACKS LIED. Beide zeigten, daß es ein Publikum gab für Filme von und mit Schwarzen, und daß die sich die so klassisch mit Weißen besetzten Erzählmuster mit Witz, Wut und jeder Menge Energie zu Eigen machen würden. Nicht umsonst übertrumpft SHAFT in seinem Trailer die ehrwürdigen weißen Kollegen: „Hotter than Bond, cooler than Bullitt.“
John Shaft ist ein harter Privatdetektiv in der Tradition von Sam Spade, der als Einzelgänger nach seinem eigenen Kodex lebt. Der schwarze Gangsterboss Bumpy Jonas heuert ihn an, seine entführte Tochter zu finden, und damit gerät Shaft in den Krieg zwischen einer Gang aus Harlem und der italienischen Mafia, die das Terrain für sich haben will. Gemeinsam mit dem Revoluzzer Ben Buford, einem alten Bekannten von ihm, stellt er eine kleine Privatarmee zusammen, um Bumpys Tochter aus den Händen der Mafiosi zu befreien.
Gangsterboss Bumpy Jones (Moses Gunn, Mitte) heuert Ben Buford (Christopher St. John, links) und Shaft (Richard Roundtree) an, um seine Tochter zurückzuholen. |
Regisseur Gordon Parks, der als Photograph mit seinen Dokumentationen des Lebens der schwarzen Bevölkerung Amerikas bekannt wurde, nutzt den Krimiplot beinahe als Fortführung dieses Ansatzes: Er sieht dorthin, wo das Hollywood-Kino sonst nie einen Blick riskierte. Er zeigt die Straßen der wenig glamourösen Viertel, die heruntergekommenen Häuser, die einfachen Läden. Über eine lange Montage, in der Shaft sich durch die Nachbarschaft nach dem Aufenthaltsort von Buford fragt, singt Isaac Hayes: „Any kind of job is hard to find / That means an increase in the welfare line / The crime rate is rising, too, but / If you are hungry, what would you do?“
Und doch ist der Tonfall hier keinesfalls resigniert – ganz im Gegenteil. Shaft ist wie eine Ikone des schwarzen Selbstbewußtseins; jede Begegnung mit ihm ist eine Konfrontation, in der er sich die Oberhand erkämpft. Ob ihn weiße Polizisten befragen wollen oder ihm ein schwarzer Gangsterboss droht, Shaft lässt sich nie einschüchtern und verweist sein Gegenüber auf seinen Platz. Wenn ihm der Kommissar anschafft: „Have a chair, John“, setzt Shaft sich demonstrativ auf den Schreibtisch: „I don’t like your chair“. Ganze Legionen von Hip-Hoppern könnten sich von John Shaft abschauen, wie man den harten Platzhirsch von der Straße mimt, ohne je in plumpe Proll-Posen zu verfallen.
Shaft (Richard Roundtree) und seine Eroberung Linda (Margaret Warncke). |
Am provokativsten zeigt sich dieses neue schwarze Selbstbewußtsein in einer Sequenz, in der Shaft in einer Bar von einer weißen Frau erspäht wird, die offensichtlich Gefallen an ihm findet. In der nächsten Szene ist die Frau schon bei ihm zuhause und legt sich auf sein Bett. Die Beiläufigkeit, mit der diese Eroberung stattfindet, dürfte die Empörung seinerzeit noch gesteigert haben – immerhin reden wir von einer Zeit, in der die Rassentrennungsgesetze erst sieben Jahre zuvor abgeschafft wurden, und in der das Bild eines schwarzen Mannes mit einer weißen Frau somit immer noch gewaltige Sprengkraft besaß. Daß Shaft im Film gleich mehrere Freundinnen hat, mag man dabei übrigens als Macho-Phantasie werten, aber eigentlich ist das nur eine Fortführung des Prinzips, mit dem SHAFT sich der Muster weißer Kinohelden bemächtigt: Wenn James Bond zahlreiche Frauen erobern kann, kann ein Mann wie John Shaft erst recht mehrere Ladies in Warteposition haben.
Das Spannende an SHAFT ist nicht die Handlung, und es ist nicht einmal die Action, die immer wieder hervorbricht. Es ist alles darunter, davor, danach, dazwischen, was den Film so aufregend macht. Und wenn man genau hinsieht, merkt man, dass diese schwarze Eroberung des weißen Kinos an genau diesen Trennlinien und Schubladen gar nicht interessiert ist: In einer Szene hält der Polizeichef einen schwarzen Stift neben Shafts Gesicht und meint: „You ain’t so black.“ Der hält umgekehrt seine weiße Kaffeetasse zum Vergleich hoch und kontert: „And you ain’t so white either, baby.“
„You ain’t so black“ … |
… „And you ain’t so white either, baby.“ |
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Shaft (USA 1971)
Regie: Gordon Parks
Buch: Ernest Tidyman, John D.F. Black
Kamera: Urs Furrer
Musik: Isaac Hayes
Darsteller: Richard Roundtree, Moses Gunn, Charles Cioffi, Christopher St. John, Gwenn Mitchell, Sherri Brewer, Drew Bundini Brown