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TWICE UNDER – KANALRATTEN: Vietnam im Gulli

Im Gespräch mit dem videothekenfilmgestählten Gastautor Don Arrigone nähere ich mich der VHS-Gulliglanznummer TWICE UNDER, den wir kürzlich gemeinsam goutiert haben.

TWICE UNDER erzählt die Geschichte eines Vietnamveteranen, der in der Kanalisation einer Stadt sein Unwesen treibt – und gegen einen anderen Vietnamveteranen antritt, der als Chef der Kanalreinigung arbeitet. Unser Mörder war nämlich einst Mitglied einer Untergrund-Einheit namens „Tunnelratten“, die vom Kanalchef geleitet wurde. Letzterer ließ unseren Traumatisierten bei einem Sprengstoffeinsatz zurück und dachte, der Mann sei damals ums Leben gekommen – und so entsteht nach einigen namenlosen Opfern ein Kleinkrieg zwischen gutem und bösem Veteran; für ersteren springt nach dessen (vermeintlichem) Tod der Sohnemann ein.

Genzel: Ich finde das ja sehr nett, daß es in einem Film wie TWICE UNDER genau zwei Modelle gibt, wie Vietnamveteranen in die Gesellschaft zurückkehren: Als Kanalarbeiter oder als Psychopathen.

Don Arrigone: Das Motiv ist meines Erachtens nicht neu. Der Hauptcharakter aus DER EXTERMINATOR ist ja braver Arbeiter und Psychopath.

Genzel: Aber ist er dort tatsächlich Psychopath?

Don Arrigone: Die Frage läßt sich bei jedem der unzähligen DEATH-WISH-Klone stellen: Ist das nun ein braver, aufrechter Amerikaner, der tut, was nun einmal getan werden muß, oder ist das ein kranker Massenmörder?

Genzel: Immerhin kümmert sich der „Exterminator“ ja um, räusper, den Abschaum. Im Kontext des Films. Die Opfer in TWICE UNDER sind aufrechte Arbeiter.

Mit Rick (Ian Borger) geht es abwärts.

Aber um auf deinen Kommentar während des Ansehens zurückzukommen – du findest, daß der Film bis zum Wiederauftauchen des totgeglaubten Vaters Sinn gemacht hat?

Don Arrigone: Also, wir haben ja gerade einen Film gesehen – auf VHS, wie ich betonen möchte – der vermutlich direkt für den Videothekenmarkt produziert wurde und wohl nicht mit dem höchsten Budget gesegnet war. Eingedenk dieser Tatsachen finde ich das Drehbuch überraschend stringent. Besonders beeindruckend fand ich, daß uns tatsächlich schlüssig erklärt wird, wieso das Finale an einem denkbar günstigen Drehort, d.h. in der Kanalisation, spielt. Insgesamt kann man die Lücken verschmerzen.

Genzel: Ich finde es ganz charmant, wie hier der Tunnelkampf gegen den Vietcong einfach in die Kanalisation einer amerikanischen Stadt übertragen bzw. dort fortgeführt wird. Mit dem Untergrund-Setting kriegt TWICE UNDER auch einen Touch von Monster- und Slasherfilmen. Der Film ist überhaupt sehr schön gemacht – die Kameraarbeit ist sauber, die Lichtstimmungen sind hübsch, der Streifen ist atmosphärisch. Nach zwei Dritteln hängt er etwas durch, weil der Psychopath so mitteilsam wird, aber der Unterhaltung tut das nur wenig Abbruch. Ich denke allerdings, daß der Film die ganze Zeit über gepflegten Unfug verbreitet.

Don Arrigone: Ja, die Polizei war hirnrissig bis zum Geht-nicht-mehr, das läßt sich nicht leugnen. Auch nur eine Sekunde ordentliche Polizeiarbeit, und die guten Herren hätten verstehen müssen, was gespielt wird. Aber logische Überlegungen würden die Plots solcher Filme fast immer schneller zerstören, als du „Direct-to-Video“ sagen kannst. Insofern finde ich das halb so schlimm.

Genzel: Gleich zu Beginn hätte der Vater der Polizei ja sagen können, was los ist, und wer ihn da mit Drohanrufen bedenkt. Stattdessen tritt er zum Einzelkampf an. Ein Knüller ist der schwarze Polizist, der den Sohnemann verfolgt: Erst versteckt sich unser Held auf leerem Parkplatz hinter einem Auto, und der Polizist rennt brav daran vorbei. Dann steigt der Held in einen Kanal, was der Polizist dann doch bemerkt – aber als er hinterherklettern will, sagt ihm der Vorgesetzte, daß er das nicht tun soll, sondern daß sie lieber nochmal ins Haus fahren sollen, wo sie ja vielleicht noch Hinweise finden. Ich würde den wandgroßen Stadtplan im Arbeitszimmer des Vaters ja für einen solchen Hinweis halten, nachdem der Papa dort in rot ein Gebiet markiert und den Namen des Psychopathen draufgeschrieben hat, aber ich habe zugegebenermaßen auch keine Ahnung von Polizeiermittlungen. Vielleicht schauen die sich bei Mordermittlungen grundsätzlich nur den Boden an.

Don Arrigone: Ich möchte dennoch betonen, daß ich in diesem Fall überzeugt bin, daß es ein Drehbuch gab, und daß sich wohl sogar eine zweite Person eben jenes durchgelesen hat. Ich fand die wiederkehrenden Elemente gar nicht schlecht gemacht – zum Beispiel, wie der Sohn dreimal vor dem Haus der Familie eintrifft: zu Beginn feiernd, dann nervös, und schließlich nach der Beerdigung seines Vaters. Es hat sich auf jeden Fall jemand etwas dabei gedacht, das ist kein herzloses Drehbuch, um schnell einen neuen Film rauszuhauen.

Genzel: Oder es ist dem Low-Budget-Gedanken geschuldet, daß es immer dieselben Locations sind.

Don Arrigone: Dennoch, hier liegen konsequente Überlegungen vor. Vergleich das doch mal mit Streifen wie CARNOSAURUS 2: Da wird mir weisgemacht, daß der Film in einem höchst modernen Forschungslabor spielt, in dem tagtäglich hochkomplexe Experimente durchgeführt werden, und dann ist es doch nur Roger Cormans Keller. Hier wird mir wenigstens ehrlich gesagt: Ja, das ist die Kanalisation.

Genzel: Aber wo du gerade das erste Eintreffen des Sohns erwähnst: was für eine epische Einführung! Wir sehen ein Auto mit buntem Teddybär am Rückspiegel vorfahren. Der Wagen wackelt, wir hören Achtziger-Synth-Metal, und zwei Gestalten gehen im Auto mit Kopfhörern dazu ab. Und dann gehen sie noch ein bißchen dazu ab. Und noch ein bißchen. Und dann tanzt der Bursche in diesem wundervoll bunten Hemd, das er anhat, bis zu seinem Haus, minutenlang, während der Song voll ausgespielt wird. Großartig.

Don Arrigone: Wir dürfen da nicht vergessen: Wir hatten aus technischem Gebrechen heraus nur einen Bildausschnitt und haben die Charaktere nicht sofort gesehen. Das Auto wackelt natürlich bedenklich, weil die beiden Teenies derart abrocken, aber ich hatte zugegebenermaßen kurz auch andere Vermutungen. Was – Achtung, infantiler Wortwitz: – ebenso eine epische Einführung für den Hauptcharakter gewesen wäre. Schön, wenn man noch etwas Spielraum für Fantasie hat.

Genzel: Und anfangs fragt man sich ja noch, warum der Junge ungefähr zwanzig Ghettoblaster im Haus hat. Dabei werden die sogar im Finale gebraucht, weil ihm der totgeglaubte Vater die alle in den Kanal zerrt!

Don Arrigone: Ja, wir haben uns ja auch gefragt, wie oft der Vater nun zwischen der Kanalisation und dem Haus hin- und hergelaufen ist.

Genzel: Er dürfte wohl zwei Wochen gebraucht haben – er war verwundet und hat pro Tag einen Ghettoblaster geschafft. Für eine Waffe gegen den Psychopathen, z.B. ein Küchenmesser, hat es dann leider nicht mehr gereicht.

Don Arrigone: Die Dartpfeile seines Sohnes hat er aber mitgebracht!

Wenn die Beerdigung zu teuer ist, reicht auch ein „Funeral“-Schild.

Genzel: Und was war der Plan am Schluß nochmal genau?

Don Arrigone: Nun, der Sohn hatte den Plan, den Psychopathen möglichst lange durch die Kanalisation zu locken und ihn dann von hinten anzufallen. Und das tut er, indem er ihm immer wieder Musik vorspielt. Allerdings hätte er dafür keine 20 Ghettoblaster gebraucht und ihn nicht von dunkler Ecke zu dunkler Ecke locken müssen, als wäre es eine Schnitzeljagd auf einem Kindergeburtstag. Eigentlich hätte er ihn gleich beim ersten Ghettoblaster anfallen können. Immerhin wurde der Psychopath zunehmend verunsichert, ja. Aber einen großen Plan konnte ich nicht erkennen.

Genzel: Der Vater sagt allerdings zu seinem Sohn: Der Psycho weiß nicht, wo du bist, wenn er dich nicht hören kann.

Don Arrigone: Dennoch, da hätte ein Radio gereicht. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß der Vater hinter einer Steinmauer saß und drauf gewartet hat, bis der Böse vorbeiläuft, um ihm dann ein Bein zu stellen. Hat funktioniert, aber dann doch wenig gebracht.

Genzel: Er hat sich dafür sogar halb einmauern lassen! Woher hat der Vater eigentlich gewusst, daß der Böse da vorbeikommt?

Don Arrigone: In solchen Filmen warten doch immer Leute, daß irgendwer irgendwo vorbeikommt.

Genzel: Stimmt, wie die Krieger in den Kisten bei SHE. Und der Polizist in TWICE UNDER fährt ja auch gezielt über den richtigen Kanal.

Don Arrigone: Dieses Ende fand ich absolut genial. Wir erfahren, daß der Polizist auch Tunnelratte war. Ein inkompetenter Vollidiot, der alles verhaut, was man auch nur verhauen kann, fährt plötzlich dem Bösewicht gezielt den Kopf ab und verkauft das dann als gute Polizeiarbeit. Und kommentiert das Geschehen nur trocken: „Auch ich bin eine Tunnelratte.“

Genzel: Ja, er bremst eine halbe Minute später, steigt mit sehr zufriedener Miene aus und freut sich über den gelösten Fall.

Don Arrigone: Und wir stellen uns die Frage, wieso er sich nicht die Mühe gemacht hat, seinen schwarzen Partner zu retten.

Genzel: Hmm … wenn er Mitglied dieser Einheit war, hätte er doch eigentlich wissen müssen, was diese Rattenschädel bedeuten, die der Böse immer am Tatort hinterlassen hat?

Don Arrigone: Ich bin ja wahrlich kein Experte für den Vietnamkrieg, aber: Kann eine Spezialeinheit von Tunnelratten, die den Schädel einer speziellen vietnamesischen Ratte als Erkennungszeichen benutzt, tatsächlich so groß sein, daß sich die Mitglieder untereinander nicht mehr kennen?

Genzel: Naja, Amerika war ja lang in Vietnam. Die einen waren in den Sechzigern da, und die anderen dann 8 Jahre später, und so kennen die sich halt nicht mehr. Ist ja vielleicht wie bei dir in der Arbeit.

Don Arrigone: Wir tragen auch keine Rattenschädel.

Der verhaltensauffällige Vietnamveteran Dagget (Ron Spencer).

Genzel: Also, ich bin insgesamt sehr zufrieden mit dem heiteren Unfug – vor allem der Soundtrack ist großartig und hat viel Power.

Don Arrigone: Nur die Frage, woher die Musik in welcher Szene kommt, und welche Charaktere sie nun hören könnten … Zu Beginn sehen wir die beiden Teenager ja, wie sie beide mit Kopfhörern dasselbe Musikstück hören, an der exakt selben Stelle. Die Musik geht allerdings noch weiter, als das Mädchen die Kopfhörer abgenommen hat – vielleicht sollen wir uns dem Jungen als Charakter näher fühlen. Aber ich glaube, den Soundtrack in diesem Film zu verorten, würde zu weit führen.

Genzel: Ja, das weiß man nicht so genau, wer wann was über Kopfhörer hört. Und es läuft immer dasselbe.

Don Arrigone: Ja, weil es Radio ist.

Genzel: Außer im Tunnel.

Don Arrigone: Aber da ist ja kein Empfang, müssen also Kassetten sein.

Genzel: Kassetten retten Leben!

Don Arrigone: Ja, der Junge wird zu Beginn des großen Showdowns vom Psychopathen mit einer Armbrust angeschossen. Normalerweise war dies immer ein Todesurteil, und ich habe schon angesetzt, mich darüber zu beschweren – und dann erklärt der Film tatsächlich, dass er eine Kassette in der Jacke getragen hat, die die Wucht des Pfeiles verringert hat. Halten wir das also als Schlusswort fest: Kassetten retten Leben.

 

Twice Under – Kanalratten (USA 1989)
Originaltitel: Twice Under
Regie: Dean Crow
Buch: Charles Joseph
Musik: Skeet Bushor
Kamera: Jon Gerard
Darsteller: Ian Borger, Ron Spencer, Amy Lacy, Jack O’Hara, Jack Williams, Charles Cooper

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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