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SCHMERZENSGELD: Eine (zu) nette schwarze Komödie

Eigentlich sollte man meinen, daß Schmerz und Geld hauptsächlich dann miteinander verbunden sind, wenn es um Adam-Sandler-Filme geht. SCHMERZENSGELD widerlegt diese Annahme: Da findet das glück- und erfolglose, hoch verschuldete Ehepaar Alice (Juno Temple) und John (Michael Angarano) einen magischen Teekessel, der Geld produziert, sobald sich die beiden wehtun. Es dauert nicht lange, bis sich die beiden mit Wonne verprügeln und anderweitig Schmerzen zufügen, um sich ein schickes Haus und ein sorgenfreies Leben leisten zu können. Allerdings sind nicht nur andere Menschen ebenfalls hinter dem Teekessel her, sondern die Methoden der beiden werden auch immer drastischer …

Bei einer solchen Story kann der Film kaum anders, als im Herzen eine Moralgeschichte zu sein – und die überwiegt leider die schwarze Komödie. SCHMERZENSGELD hastet schnell voran, damit wir sehen, welchen Preis der potentiell unendliche Reichtum hat: Die beiden werden flugs zu arroganten Arschlöchern, gleich nach dem Umzug ins schöne Haus folgt eine Szene, die zeigt, daß jetzt eine Kluft zwischen Alice und einer ehemaligen Freundin existiert. Sobald der Reichtum da ist, verbringt John die meiste Zeit im zugedröhnten Rauschzustand, und als zwei Gauner im Haus einbrechen und das Geld mitnehmen, wird Alice aggressiv und unvernünftig, obwohl sie ja problemlos neues produzieren könnte.

So haut der Film sehr offensichtlich in eine Kerbe, bei der ja ohnehin jeder Mittellose wissend nickt: Geld verdirbt den Charakter, jaja. Leider stellen sich weder Alice noch John wahnsinnig klug an, was ihr Geld betrifft: Sie verprassen es eben für schöne Dinge oder horten es im Versteck, ohne irgendetwas Sinnvolles damit zu tun – oder brauchbare Sicherheitsmaßnahmen auszuknobeln. Natürlich will uns die Geschichte sagen, daß die Gier die beiden sofort verdirbt und ihnen jegliches Gespür für das Maß raubt – aber weil hier stets nur der „Mehr sofort“-Modus existiert, sieht man den beiden wie in einer Lehrstunde recht unbeteiligt zu und fühlt sich selber ständig klüger.

So wie auf die Moral von der Geschichte stürzt sich SCHMERZENSGELD auch übereifrig auf den Plot, der mitunter nur durch Konstruktionen vorankommt, die nicht ganz nachvollziehbar sind. Daß John gleich zu Beginn mit dem Kessel in einer Fernsehshow auftritt, wo man den Wert von Antiquitäten schätzt, und damit andere Menschen auf seinen Fund aufmerksam macht, ist schon nur notdürftig plausibel. Auch eher holprig zusammengereimt: Nachdem zwei Kerle auf der Suche nach dem Kessel bei Alice und John in die Wohnung gekommen sind und John zusammenschlagen haben (was freilich höchst einträchtig für John ist), rennt unser Ehepaar besorgt zu dem mysteriösen Chinesen, der sie schon zuvor einmal gewarnt hat und ihnen jetzt mehr über das magische Objekt erzählen soll.

Es ist schade, daß die mit Leuchtstift geschriebene Moral und das Storygerüst so einen Schatten über den eigentlich originellen und vergnüglichen Film werfen. An Einfällen mangelt es dem Skript nämlich nicht: Schön ist zum Beispiel die Sequenz, in der Alice feststellt, daß sich nur irgendeine Person in der Nähe des Kessels verletzten muß und nicht zwangsläufig sie selber – weshalb sie mit ihrem Ehemann sogleich zu einem Boxkampf rennt und anschließend während einer Geburt in einen Kreißsaal hineinplatzt. Mitunter wird der Witz hübsch schwarz – zum Beispiel, wenn die beiden ihren Nachbarn den toten Hund in einer Kiste überreichen, weil auch emotionale Schmerzen Geld in den Kessel bringen. Aber richtig schwarz wird es nicht, weil sich dieser Tonfall ja mit dem Ansatz beißt, unsere Protagonisten zur Läuterung zu bringen.

Auf oberflächlichem Level ist SCHMERZENSGELD damit eine unterhaltsame Angelegenheit, die noch dazu mit der fantastischen Juno Temple punkten kann. Alleine die Szene, in der Alice herausbekommt, daß auch schmerzhafte Gefühle Geld produzieren, und dann John anstachelt, ihr von einem Seitensprung zu erzählen, zeigt, welche Komplexitäten Temple spielen kann: Einerseits tut Alice Johns Beichte weh, andererseits ist sie von der Gier mitgerissen und gleichzeitig aufgekratzt, weil sie einen neuen Weg gefunden hat, dem Kessel noch mehr zu entlocken.

So lohnt sich der Film alleine schon dafür, einer begabten Schauspielerin dabei zuzusehen, wie sie viele Nuancen aus ihrer Figur herausholt – und gleichzeitig dabei ihr komisches Talent und Timing mühelos spielen läßt. Und wenn sich SCHMERZENSGELD nicht so sehr darum kümmern würde, nett und schlußendlich erbaulich sein zu wollen, hätte der Film auch mehr als ein unterhaltsamer Zeitvertreib werden können – aber das ist er zumindest.



Schmerzensgeld (USA 2011)
Originaltitel: The Brass Teapot
Regie: Ramaa Mosley
Buch: Tim Macy, Ramaa Mosley
Musik: Andrew Hewitt
Kamera: Piotr Simonitski
Darsteller: Juno Temple, Michael Angarano, Alexis Bledel, Billy Magnussen, Stephen Park

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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