„If I knew the way I’d go back home
But the countryside has changed so much
I’d surely end up lost …“
Mit diesen Worten beginnt der Paul-Williams-Song „Where Do I Go From Here“, der kurz nach Anfang von DEN LETZTEN BEISSEN DIE HUNDE angespielt wird und später nochmal über den Abspann erklingt. Nach außen hin ist der Film eine Mischung aus Buddy-Roadmovie und Raubzugkrimi, aber durchzogen ist die Geschichte von vorne bis hinten von der Desillusion: Amerika hat sich verändert, und die Menschen haben sich im Land verlaufen.
Dieses Gefühl der Ernüchterung prägte das US-Kino in den Jahren nach EASY RIDER. „We blew it“ – „Wir haben’s vermasselt“ – sagt dort „Captain America“ Peter Fonda zum Schluß, und gerade weil die Aussage so vage war, traf sie umso mehr den Nerv der Zeit. In den Sechzigern durchlitt Amerika die Ermordung von Präsident John F. Kennedy, dessen Bruder Robert Kennedy und Bürgerrechtler Martin Luther King. Der fragwürdige Vietnamkrieg eskalierte und kostete Tausende von Soldatenleben, ein Ende war nicht abzusehen. Aus der friedlichen Gegenkultur war irgendwie das Monster Charles Manson entwachsen. Die Kluft zwischen dem, was Amerika sein könnte und dem, was es tatsächlich war, wurde immer größer – und so blieb nur die traurige Feststellung, daß wir „es“ vermasselt haben.
Auch in DEN LETZTEN BEISSEN DIE HUNDE ziehen die beiden Protagonisten wie Hopper und Fonda in EASY RIDER durch das Land, suchen nach der Freiheit und scheitern. Die Story dreht sich um den Bankräuber Thunderbolt (Clint Eastwood), der auf der Flucht vor ehemaligen Komplizen den weitaus jüngeren Vagabunden Lightfoot (Jeff Bridges) kennenlernt und sich mit ihm anfreundet. Die besagten Komplizen sind hinter der Beute des spektakulären Raubüberfalls her, den sie vor vielen Jahren mit Thunderbolt durchgeführt haben, aber die ist verschwunden. So raufen sich die Burschen irgendwann zusammen, um denselben Raubzug zu wiederholen und endlich abzukassieren.
Es ist bezeichnend, daß die Bande sich noch einmal an demselben Plan versucht, der einst für Schlagzeilen sorgte und Thunderbolt seinen Spitznamen gab: In der Gegenwart sind die Figuren ziellos, orientieren können sie sich nur an der Vergangenheit. Als Lightfoot Thunderbolt seine Freundschaft anbietet, sagt der ihm: „Junge, du kommst zehn Jahre zu spät“. Thunderbolt und Komplize Red Leary (George Kennedy) waren einst Freunde, Leary hat im Koreakrieg Thunderbolt das Leben gerettet – aber jetzt will er ihn umbringen, um an sein Geld zu kommen. Das wurde vom einstigen Bandenführer in einem Schulhaus versteckt, aber der Mann ist mittlerweile tot und das Schulhaus wurde modernisiert. Und natürlich ist der zweite Anlauf des Überfalls nur eine blasse Version des damaligen Raubzugs und bringt keinem der Beteiligten Glück.
Wie in seinem Kriegsdrama DIE DURCH DIE HÖLLE GEHEN und seinem Antiwestern HEAVEN’S GATE läßt Michael Cimino auch hier, bei seiner ersten Regiearbeit, ein nur andeutungsweise artikuliertes Gefühl der Desillusionierung durch das Geschehnis wehen. Das Land sieht wundervoll aus, wie in einem John-Ford-Film sind die Figuren immer wieder in fast mythologisch üppige, weite Landschaftsaufnahmen gebettet – aber darunter liegt der Schmerz, daß etwas schiefgelaufen ist. Schon zu Beginn spielt Cimino mit diesem Gegensatz aus Schein und Sein: Da sehen wir Thunderbolt als Prediger in einer idyllischen kleinen Kirche auf dem Land – aber dann platzt ein Killer in die Andacht hinein und verfolgt Thunderbolt, der sich ebenso als Gangster entpuppt.
Überhaupt sind die Dinge hier selten wirklich das, was sie zu sein scheinen: Lightfoot darf sich während des Raubzugs zur Ablenkung eines Wachpostens als Frau verkleiden; zu Beginn des Films täuscht er eine Beinverletzung vor, um ein Auto zu klauen. Einmal zitiert Thunderbolt ein Gedicht (eine Zeile, die scheinbar extra für den Film geschrieben wurde und zum Thema der Vergangenheit paßt: „The clock uncoils the working day, and he wakes up feeling his youth has gone away“) und Lightfoot hält es für ein Gebet; später zitiert er einen Satz aus der Bibel, der für ein Gedicht gehalten wird. Ein Autofahrer, der Lightfoot und Thunderbolt als Anhalter mitnimmt, entpuppt sich als wahnsinniger Spinner mit einer Horde an Karnickeln im Kofferraum. Und in Vorbereitung für den Raubzug nehmen die Bandenmitglieder niedere Jobs als Metallarbeiter, Eisverkäufer und Bauarbeiter an – es paßt zu diesem schrägen Blick auf das Land, daß hier selbst hinter dem netten Eismann ein Mensch stecken kann, der das nächste große Ding plant.
Ganz reibungslos harmonieren die einzelnen Elemente in THUNDERBOLT AND LIGHTFOOT (so der Originaltitel des Films) nicht: komische und ernste Passagen passen nicht immer aneinander, der Witz ist manchmal niederträchtig und die Gewalt manchmal flapsig. Auch die Bauteile aus Buddy-Comedy und Kriminalfilm gehen nicht immer Hand in Hand. Lohnenswert ist der Film aber nicht nur wegen dem mühelosen Rapport zwischen Eastwood und Bridges (letzterer bekam eine Oscarnominierung als bester Nebendarsteller) und den wunderbar exzentrischen Charakterdarstellern, sondern auch wegen der Zwischenräume, die Cimino hier auslotet. Kein Wunder, daß er sich mit dem Film als New-Hollywood-Größe empfahl: Er nimmt die Bestandteile verschiedener Genrefilme und schaut, was in den Lücken passiert. Und darin findet er den Gefühlszustand seiner Zeit – nicht ausgesprochen, aber zum Greifen nahe.
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Originaltitel: Thunderbolt and Lightfoot
Regie: Michael Cimino
Buch: Michael Cimino
Musik: Dee Barton
Kamera: Frank Stanley
Darsteller: Clint Eastwood, Jeff Bridges, George Kennedy, Geoffrey Lewis, Catherine Bach, Gary Busey, Burton Gilliam, Dub Taylor