Eines muß man Tobe Hooper ja lassen: Er scheut nie davor zurück, seine Grusel-Geschichten irgendwann in die Hysterie zu führen. Das ist insofern bemerkenswert, weil er damit das sichere Gelände verläßt: Wenn es funktioniert, nimmt er seine Zuseher damit auf eine intensive Achterbahnfahrt – wenn nicht, droht der Effekt ins Lächerliche umzukippen. In seinem ersten Film BLUTGERICHT IN TEXAS führte er uns schnurstracks in den grellen Wahnsinn; auch in POLTERGEIST geht der Ansatz auf, den Zuseher irgendwann nur noch unnachgiebig zu bombardieren. Aber auch wenn Hoopers sonstige Werke selten so stimmig sind und ihm deshalb auch gerne mal jegliches erzählerische Talent aberkannt wird: Ich behaupte, diese fiebrige Aufregung ist essentieller Teil von Hoopers bizarren Welten, die quasi als Zerrspiegel fungieren – egal, ob wir emotional mitgerissen werden oder nicht.
Wie so viele von Hoopers Filmen zeichnet auch sein 1989 gedrehter SPONTANEOUS COMBUSTION zumindest anfänglich ein hübsch perverses Amerikabild: Da wird das jung und naiv wirkende Ehepaar Bell als „first nuclear family“ eingeführt, weil die beiden Patrioten sich Mitte der Fünfziger zu den in Nevada durchgeführten Atombombentests in den Bunker einsperren lassen und dort einen Impfstoff testen, der sie gegen die Radioaktivität schützen soll. Neun Monate später zeigen die beiden keinerlei Strahlungsbeeinträchtigung, aber dafür kommt ihr Sohn David zur Welt – am 6. August, was einen hochrangigen General geradezu begeistert, weil der Geburtstag damit auf das 10jährige Jubiläum der Hiroshima-Atombombe fällt. Leider kommen die stolzen Eltern kurz nach der Geburt aufgrund eines bizarren Falles von spontaner menschlicher Selbstentzündung ums Leben.
In der filmischen Jetztzeit – sprich: 1989, also 34 Jahre später – lernen wir nun Sam (Brad Dourif) kennen, von dem wir natürlich schon ahnen, daß er David sein muß, bevor ihm kleine Flammen aus der Fingerspitze schießen. Sam findet die Wahrheit über seine Herkunft und seine Eltern erst nach und nach heraus – und natürlich bleibt es nicht bei vernachlässigbaren Zündeleien: Schon bald lodern Sam die Hände und Arme, während um ihn herum Menschen den Feuertod sterben.
Schon angesichts des Titels wissen wir, daß hier einiges an Pyrotechnik zu erwarten ist – die sich nebenher noch mit schmerzhaften Wunden und (aus welchem Grund auch immer) leuchtender Elektrizität verbindet. Der üppigste Spezialeffekt des Films ist allerdings Hauptdarsteller Brad Dourif, der schon in den alltäglichen Expositionsszenen völlig entrückt wirkt. Ab der zweiten Filmhälfte zischt er und schreit, spuckt und humpelt, dampft und gestikuliert, knirscht mit den Zähnen, keucht, schnauft, zittert, schwitzt, wird von der Maske immer weiter verunstaltet und starrt in jeder Sekunde grenzwertig wahnsinnig auf sein Umfeld. Ein bißchen wirkt es, als hätten Dourif und Hooper eine Wette laufen gehabt: Wer als erster den anderen auszubremsen versucht, verliert.
Aber natürlich gehört es zur angesprochenen Hooperschen Hysterie, wie sich Dourif hier die Seele aus dem Leib spielt. Es ist nicht so, als würde das Geschehen wahnsinnig viel Sinn ergeben, aber das muß es auch nicht: FIRE SYNDROME (ja, wie jedes vernünftige B-Movie der Achtziger hat auch SPONTANEOUS COMBUSTION einen grandiosen „deutschen“ Titel erhalten) ist die Art von Story, in der irgendwann ein alter Milliardär im Rollstuhl sich als Drahtzieher einer jahrzehntelangen Verschwörung entpuppt, die mit dem „Nuklearkind“ die perfekte Waffe heranzüchten wollte und sogar die Beziehungen unseres Protagonisten inszeniert hat. Es ist nicht unsere Welt, die Hooper da zeigt – es ist eine groteske Alptraumversion davon, die sich gewissermaßen irgendwann selber zerstören muß.
Bei allem, was es an FIRE SYNDROME zu belächeln gibt – die wackligen Spezialeffekte, die hanebüchenen Dialoge, das hemmungslose Overacting, die generell billige Machart – kann sich der Film aber doch aufgrund eben jener ungehemmten Undiszipliniertheit im Kopf festsetzen, die Hoopers Schaffen durchzieht. Da trifft der Billighorror auf ein Finale, das in stilisierter Architektur fast opernhafte Theatralik abfeiert; da mutiert die Atomsatire zum tragischen Identitätsfindungsprozeß, an dessen Ende der Protagonist nur noch zur radioaktiven Schlacke werden kann; da ist Platz für einen Gastauftritt von John Landis, der als Techniker einer paranormalen Radioshow (!) von Dourifs Zorn über das Telefon gegrillt wird (!); und ganz nebenher funktioniert die Geschichte als auswegslose Verschwörungsparanoia, in der das Schicksal der Figuren wie in der griechischen Tragödie schon vorgezeichnet ist.
Letzten Endes ist das alles natürlich reiner Budenzauber: FIRE SYNDROME ist purer B-Horror. Und trotz aller Abstriche paßt er in Hoopers hysterische Welt, die eben manchmal Großtaten wie BLUTGERICHT IN TEXAS und manchmal Kleintaten wie FIRE SYNDROME hervorbringt. Ich mag ihn für beides.
Mehr Tobe Hooper auf Wilsons Dachboden:
Blutgericht in Texas (1974)
Crocodile (2000)
Djinn – Des Teufels Brut (2013)
Fire Syndrome (USA 1989)
Originaltitel: Spontaneous Combustion
Regie: Tobe Hooper
Buch: Tobe Hooper, Howard Goldberg
Kamera: Levie Isaacks
Musik: Graeme Revell
Darsteller: Brad Dourif, Cynthia Bain, Jon Cypher, William Prince, Melinda Dillon, Dey Young, Dale Dye, John Landis