Ich habe mal in einem Spukhaus gewohnt. Nein, eigentlich war es kein richtiges Spukhaus – nur ein altes, dezent unheimliches Haus, das einem beständig das Gefühl gab, daß es eine Geschichte dahinter gäbe. Aber schon die Geräusche, die das Anwesen von sich gab – wie das alte Häuser nun einmal so tun – haben die Phantasie gehörig auf Touren gebracht: Ständig hat irgendwo etwas geknackt, und im unbewohnten zweiten Stock hat gerne mal eine Tür von alleine geknirscht. Die Treppe hat gerne dumpfe Geräusche von sich gegeben – und wenn man die Stufen der Reihe nach hört, knarz-knarz-knarz, als würde jemand hinaufgehen, dann rächen sich sämtliche Gruselfilme, die man in zu jungen Jahren gesehen hat. Manchmal hörte man es auf dem Gang flattern – dann hatte sich wieder eine Fledermaus vom Dachboden her nach unten verirrt.
Ich glaube nicht an Geister oder sonstigen übernatürlichen Spuk. Falls Menschen nach ihrem Tod in irgendeiner Form weiter existieren, haben sie wahrscheinlich Besseres zu tun, als uns tagein, tagaus zu beobachten und mit Gepolter zu erschrecken – die Vorstellung hat etwas sehr Diesseits-Bezogenes an sich und entspringt wohl dem grundlegenden Wunsch, daß das Ableben keinen endgültigen Schlußpunkt darstellt. Ich glaube also nicht wirklich daran, daß in dem erwähnten Haus etwas Merkwürdiges vor sich ging – aber merkwürdig fühlte man sich in dem alten Gemäuer trotzdem. Keine Ahnung, wie viele Menschen vor uns darin gelebt hatten – auf den Speichern standen noch verstaubte Kisten und alte Möbel, aber der obere Stock war mir zu unheimlich. Unsere Katze verhielt sich in dem Haus überaus ängstlich und schreckhaft. Meine Mutter hat offenbar einmal geträumt, daß sich im oberen Stock jemand erhängt habe. Und mein Vater will eines Abends eine „weiße Frau“ den Gang entlanggleiten gesehen haben. Die beiden glauben ebensowenig an Spuk. Aber was hilft es, wenn ein Ort einen gewissen psychologischen Effekt auf einen ausübt?
Der Horror-Geheimtip THE CHANGELING aus dem Jahr 1980 spielt an exakt so einem Ort – in einem großen alten Haus, das mich stark an unser eigenes (viel kleineres) „Spukhaus“ erinnert. Der Komponist John Russell (George C. Scott) mietet dieses seit Jahren leerstehende Anwesen nach dem Unfalltod seiner Frau und seiner Tochter, um über den Verlust wegkommen und wieder arbeiten zu können. In dem imposanten Haus läßt ihn aber eine Präsenz nicht zur Ruhe kommen – schon bald wacht John beispielsweise jeden Morgen um sechs Uhr früh auf, weil hartes, rhythmisches Hämmern durch das Gebäude hallt. Bei seinen Nachforschungen findet John ein verborgenes Zimmer im Dachboden, das seit 70 Jahren leer steht, und deckt nach und nach die traurige Geschichte des Anwesens auf.
Es ist eine klassische Geistergeschichte, die sich hier entspinnt: Eine Seele kommt wegen des ihr zugefügten Unrechts nicht zur Ruhe und ist daher an den Ort ihres Todes gebunden, wo sie versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Wie der in Ungarn geborene Regisseur Peter Medak diesen Spuk erzählt, ist meisterlich: Es sind zunächst nur Kleinigkeiten, die geschehen – das Hämmern, eine von alleine aufgehende Tür. Bis ganz zum Schluß ist der Film sehr suggestiv und mit Augenmerk auf die Stimmung erzählt – was die Gruselmomente umso stärker unter die Haut gehen läßt: Die kurze Sekunde, in der der Geist zuerst sichtbar ist, jagt mir selbst nach dem zigsten Ansehen einen Schrecken ein, und die Szene, in der der Spielball, der eigentlich Johns verstorbener Tochter gehörte, plötzlich vom oberen Stockwerk aus die Treppe heruntergesprungen kommt, produziert immense Gänsehaut.
Der Hauptgrund, warum die so einfach gehaltenen und ohne aufwendige Effekte erzählten Spukmomente so prächtig funktionieren, ist die Kameraführung: Medak und sein Kameramann John Coquillon kriechen in langsamen Fahrten durch das Anwesen (das so echt aussieht, daß man nicht glauben mag, daß es sich um ein Set handelt) und positionieren ihre Kamera immer wieder so, als würden die Figuren beobachtet werden – wir blicken vom ersten Stock aus nach unten oder von einem Zimmer ins andere, als würde da eine unsichtbare Person der Handlung folgen. Das zieht einen derart in das Mysterium des Hauses hinein, daß man in den letzten zehn Minuten beinahe enttäuscht ist, wenn plötzlich ein paar Special Effects aufgefahren werden.
Was THE CHANGELING – der im Deutschen den weitaus plakativeren Titel DAS GRAUEN bekommen hat, nachdem sich der Originaltitel erst spät in der Handlung erklärt – neben der Unheimlichkeit des Unerklärten auszeichnet, die so gekonnt ausgekostet wird, ist der tragische Grundton der Geschichte. Es ist auf merkwürdige Weise passend, daß John den Tod seiner Familie darüber verarbeitet, daß er sich mit dem Geist eines Verstorbenen auseinandersetzt und ihm helfen will, zur Ruhe zu kommen. Die herbstlich-erdige Farbpalette und die oft schwermütige Klaviermusik spielen in diese Traurigkeit hinein.
Es wird mancherorts angemerkt, daß John viel zu gefaßt bleibt, was die ganzen übernatürlichen Erscheinungen angeht, und daß der oft stoisch und kontrolliert wirkende Schauspieltitan George C. Scott in der Rolle fehlbesetzt sei. Aber abgesehen davon, daß es mal ganz erfrischend ist, wenn im Horrorfilm nicht gleich die Hysterie hochgefahren wird, ist Scotts Darstellung von John durchaus passend: Erstens packt ihn die Neugier, mehr über die Geschehnisse herauszufinden. Zweitens ist er unter der ruhigen Oberfläche durchaus aufgewühlt: An einer Stelle zum Beispiel sehen wir, wie ihn das gespenstische Hämmern nicht aus dem Schlaf reißt – sondern daß er weinend im Bett lag und aus Trauer um seine Familie ohnehin nicht schlafen konnte. Und drittens spürt er wohl, daß er eine gewisse Empfänglichkeit für die Vorgänge hat, die nicht unbedingt bedrohlich sind: Versucht der Geist vielleicht, mit John Kontakt aufzunehmen, weil der durch den Verlust seiner Familie eine emotionale Verbindung zu dem im Haus geschehenen Unrecht hat? So gesehen haben die unheimlichen Zeichen ja auch etwas Tröstliches: Sie deuten an, daß es etwas nach dem Tod geben muß.
So traut sich John um einiges mehr, als man es selbst in der Situation tun würde – wo er merkwürdigen Geräuschen gezielt nachspürt und sich von einer Geistererscheinung nicht abschrecken läßt, wäre unsereins wohl schon längst ausgezogen. Ich wäre schon unruhig gewesen, wenn ich im zweiten Stock des erwähnten Hauses übernachten hätte müssen; John geht sogar nachts alleine in das geheime Dachbodenzimmer. Von dieser Furchtlosigkeit sollte man sich aber nicht täuschen lassen: THE CHANGELING weiß genau, wie es ist, in einem unheimlichen Haus zu leben – und man muß keine eigene Spukhauserfahrung mitbringen, um sich hier dezent zu fürchten. Und doch: Bei allem Grusel ist es eigentlich eine hoffnungsvolle Vorstellung, daß die Tragödien dieser Welt mit Hämmern und Klopfen dafür sorgen, nicht in Vergessenheit zu geraten.
Auf Wilsons Dachboden findet sich auch ein Close-Up zu einer Sequenz aus DAS GRAUEN.
Das Grauen (Kanada 1980)
Originaltitel: The Changeling
Regie: Peter Medak
Buch: Russell Hunter (Story), William Gray, Diana Maddox
Kamera: John Coquillon
Musik: Rick Wilkins, Ken Wannberg
Darsteller: George C. Scott, Trish Van Devere, John Colicos
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