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BLUTGERICHT IN TEXAS: Ein morbides Horror-Meisterwerk

Von allen großen Horrorklassikern ist dieser hier wahrscheinlich der nihilistischste: In Tobe Hoopers THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE begleitet uns der Tod von der ersten Einstellung an. Um viel mehr geht es nicht: In der bizarren Schlachthauswelt, die hier gezeichnet wird, gibt es primär nur wahnsinnige Täter und beinahe anonyme Opfer. Der Grundriß der Geschichte ist selbst unter Abzug der Tatsache, daß er dekadenlang als Blaupause für jeden zweiten modernen Horrorfilm dienen durfte, eine gänzlich banale Angelegenheit: Fünf Freunde fahren ins Grüne und fallen einer nach dem anderen einer verrückten, mörderischen Familie in die Hände. Aber was Regisseur Tobe Hooper aus dieser Minimalprämisse macht, hat selbst nach fast 40 Jahren immer noch das Potential, sich tief in die Vorstellungskraft des Zusehers einzugraben.

Schon die ersten paar Einstellungen geben den Ton an: In kurz aus dem Schwarz aufleuchtenden Bildern sehen wir einen verwesenden Körper. Diese morbide Faszination an der Vergänglichkeit wird uns die gesamte Laufzeit lang begleiten: Es folgt das Bild einer auf einem Grabstein aufgerichteten Leiche – im Off dazu ein Radiobericht über Grabschändungen – und gleich darauf ein totes Gürteltier, das auf der Straße liegt. Unsere sogleich in die Handlung eingeführten fünf Freunde lenken von der makabren Stimmung kaum ab: Sie sind unter anderem unterwegs, um das Grab eines Großvaters zu besichtigen, und einer der Freunde, ein im Rollstuhl sitzender junger Mann, berichtet hingebungsvoll von den maschinellen Umrüstungen in einem nahegelegenen Schlachthaus. Daß dazu Bilder von Kuhherden gezeigt werden, läßt uns ahnen, daß sich auch unsere Protagonisten auf dem direkten Wege zu ihrer Hinrichtung befinden.

Sie nehmen einen Anhalter mit irrem Blick mit, der nach kurzer Unterhaltung erst sich selber in die Hand und dann dem Rollstuhlfahrer in den Arm schneidet, bevor ihn die anderen aus dem Kleinbus werfen. Sie werden ihn später wiedertreffen: Der Anhalter entpuppt sich als Mitglied einer Familie, die nahe des heruntergekommenen Hauses wohnt, zu dem die Jugendlichen fahren. Diese Familie tötet ohne viel Aufhebens jeden, der sich in ihre Nähe begibt – und nutzt die Leichenteile und Knochen wahlweise zur Dekoration ihres Hauses oder aber als Nahrung. Keine guten Aussichten für unsere fünf Protagonisten, deren Zahl sich schon bald verringert.

Viel mehr noch als die ständige Präsenz von Tod und Verwesung ist es der Schmutz, der sich in der Erinnerung des Zusehers festsetzt: THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE ist in jeder Pore dreckig. Und das im buchstäblichen Sinne – alles ist alt, gebraucht, verschmiert, versifft, unaufgeräumt und unordentlich – und im weitergefaßten, übertragenen: Da werden Menschen lebendig an Fleischerhaken aufgehängt, im Haus der verrückten Familie befindet sich unter anderem ein Stuhl, dessen Armlehnen aus tatsächlichen Armen gemacht sind, und der größte Schlächter dieser Familie trägt eine aus menschlicher Haut zusammengenähte Maske (die ihm den Namen „Leatherface“ gab). Der Film ist wie ein Blick in den dunkelsten, fürchterlichsten Teil der menschlichen Seele – dort, wo nichts von Sinnhaftigkeit und Ordnung bestimmt wird, sondern Ängste und Aggressionen hausen. Man weiß nicht, ob man so genau hinsehen will, aber wegschauen kann man auch nicht wirklich.

Wahrscheinlich ist es dieser Zwiespalt, der dafür sorgt, daß THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE zu den wenigen Filmen gehört, in denen jeder mehr gesehen haben will, als tatsächlich gezeigt wird. Es gibt wenig tatsächliches Blut auf der Leinwand, die Morde und Verstümmelungen geschehen entweder so, daß die tatsächlichen Wunden durch die Kameraperspektive verdeckt sind, oder gleich ganz im Off. Abgesehen von ein paar kurzen Schnitten – die auch weitaus weniger explizit sind, als man meinen könnte – ist kein Splattereffekt wahrzunehmen; selbst das Aufhängen am Fleischerhaken geschieht nur durch geschickte Perspektiven und Bewegungen, ohne je eine Wunde zu zeigen. Und doch lösen die Bilder – wahrscheinlich durch die Omnipräsenz der Todesmotive – etwas in der Phantasie des Zusehers aus, das so stark ist, daß in zahllosen Kritiken und Stellungnahmen von weitaus detaillierteren Vorgängen die Rede ist, als eine nüchterne Analyse zeigen würde.

An dieser geschickten Balance zwischen Wahrnehmen und Erahnen zeigt sich das filmische Können von Tobe Hooper, der seine Zuseher bis zum hysterischen Höhepunkt nicht mehr aus den Fingern läßt. Weil Hooper gerne als Filmemacher dargestellt wird, der seinen stärksten Film gleich zu Beginn drehte (auch wenn er vorher den gänzlich obskuren Spielfilm EGGSHELLS sowie einige Kurzfilme inszenierte) und sich dann in Belanglosigkeiten und Trash verlor, wird ihm dieses Talent gerne abgesprochen – aber selbst, wenn alle seine anderen Filme völlig reizlos wären (was sie nicht sind!), hätte er mit dem TEXAS CHAIN SAW MASSACRE einen Wurf gelandet, wie er nur wenig anderen Regisseuren vergönnt ist: Für einen Film, der zu den stilistisch einflußreichsten seines Genres gehört, Dekaden später noch Menschen fasziniert und sogar im Museum of Modern Art zu finden ist, hat der Mann so oder so ein großes Maß an Respekt verdient.

Wenig Respekt erfuhr der Film indes nicht nur seitens der seriösen Kritiker – Roger Ebert beispielsweise lobt zwar das handwerkliche Geschick, scheint sich aber vom Film selbst eher distanzieren zu wollen: „[…] an effective production in the service of an unneccessary movie“, schreibt er in seinem Review, das mit Anmerkungen wie „I can’t imagine why anyone would want to make a movie like this“ gespickt ist – sondern auch aus Richtung der Zensur: In England beispielsweise wurde der Film jahrzehntelang gar nicht veröffentlicht (BBFC-Leiter James Ferman bezeichnete den Streifen als „pornography of terror“), in Deutschland wurde er wegen angeblicher Gewaltverherrlichung beschlagnahmt. Selbst heute, wo der Film als veritabler Klassiker und auch als Kunstwerk Anerkennung findet, war es für das Label Turbine ein jahrelanger Kampf, eine Freigabe für BLUTGERICHT IN TEXAS (so der deutsche Titel) zu erwirken – ein Kampf, der in der DVD/BluRay-Box genau dokumentiert ist und durchblicken läßt, wie sehr sich die Sittenwächter offenbar vor dem erschrocken haben, was sie da zu sehen glaubten.

Dabei ist der Film, wenn man die späteren Werke von Tobe Hooper kennt, gar nicht mehr so biestig ernst, wie es vielleicht anfangs den Anschein hatte. Die absurden Überzeichnungen, die in seinen späteren Filmen so viel stärker durchblitzen und zum Beispiel in der 1986 erschienenen Fortsetzung THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE 2 weitestgehend die Oberhand gewinnen, sind auch hier schon angelegt: Beispielsweise die Sequenz, in der die Familie ihren steinalten Großvater ins Eßzimmer trägt und der fast mummifiziert wirkende Mann am aufgeschnittenen Finger der Hauptdarstellerin lutscht, als könnte er sich mit den paar Tropfen Lebenselixir ein paar weitere Tage erkaufen. Nicht minder schwarzhumorig die folgende Szene, in der der alte Mann die junge Frau mit einem Hammer schlachten soll – ganz so, wie er es vor vielen Jahren mit den Rindern gemacht hat. Weil er schon viel zu schwach ist, den Hammer wirklich zu halten, wird ihm immer wieder geduldig das Mordinstrument zurück in die Hand gegeben, während darüber schwadroniert wird, daß Großvater der Beste in seinem Beruf sei. In diesem Sinne ist THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE ein wenig mit Sam Raimis THE EVIL DEAD vergleichbar, der auch prinzipiell den intensiven Terror zelebriert, aber vor allem unter Berücksichtigung des späteren Filmschaffens einen bösen Sinn für Humor offenbart.

THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE ist der beste Beweis für die alte Weisheit, daß es nicht wichtig ist, was erzählt wird, sondern wie es erzählt wird. Hunderte von Filmen haben sich an der Prämisse der Freundesgruppe probiert, die fernab der Zivilisation auf schreckliche Ereignisse stößt. Hunderte von Filmen haben das Motiv der wahnsinnigen, degenerierten Familie verwendet, deren Alltag aus Mord und anderen Unappetitlichkeiten besteht. Und hunderte von Filmen haben versucht, ähnlichen Extremen Raum zu geben und in Abgründe hineinzublicken. Tobe Hooper schafft es, aus all diesen Elementen nicht nur etwas zusammenzufügen, das eine enorme Wirkung entfaltet, sondern darüber hinaus noch mehr ist als die Summe seiner Teile. Der wahre Schrecken existiert selbst bei einem so gar nicht subtil wirkenden Film im Kopf, und das noch lange nach dem Abspann. Vielleicht liegt der Horror in diesem Fall nicht darin, daß dem Zuseher so unnachgiebig eine Welt gezeigt wird, in der man nie leben möchte – sondern in dem Verdacht, daß diese Welt viel näher ist, als es einem lieb sein kann.

Mehr Tobe Hooper auf Wilsons Dachboden:
Fire Syndrome (1990)Crocodile (2000)
Djinn – Des Teufels Brut (2013)

Szenenanalysen zu BLUTGERICHT IN TEXAS:
Der Mord an Franklin
Die Szene mit dem Fleischerhaken



Blutgericht in Texas (USA 1974)
Originaltitel: The Texas Chain Saw Massacre / The Texas Chainsaw Massacre
Regie: Tobe Hooper
Drehbuch: Kim Henkel, Tobe Hooper
Kamera: Daniel Pearl
Musik: Wayne Bell, Tobe Hooper
Darsteller: Marilyn Burns, Allen Danziger, Paul A. Partain, William Vail, Teri McMinn, Edwin Neal, Jim Siedow, Gunnar Hansen

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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