Was für ein erschreckender, beklemmender Film. In COMPLIANCE ruft ein Polizist bei der Managerin eines Fast-Food-Lokals an und erklärt ihr, daß eine ihre Mitarbeiterinnen von einer Kundin Geld gestohlen hat und deswegen festgehalten werden muß, bis er mit einem Kollegen anrücken und sie verhaften kann. Die Managerin gehorcht, obwohl die junge Mitarbeiterin beteuert, nichts getan zu haben. Dann werden die Forderungen des Polizisten am Telefon drastischer: Er verlangt zum Beispiel, daß die junge Frau ihre Kleidung ausziehen soll, weil darin das Geld versteckt sein könnte …
Es ist von Anfang an relativ klar, daß es sich bei dem Anrufer um keinen tatsächlichen Polizisten handelt – weshalb es sofort einerseits faszinierend und andererseits nervenaufreibend ist, daß niemand die Identität und Autorität des Anrufers hinterfragt und überprüft. Wer sich dabei aber in der Sicherheit wiegt, daß so etwas im wahren Leben niemals funktionieren würde, macht sich die Angelegenheit ein bißchen zu einfach: COMPLIANCE basiert auf einem tatsächlichen Fall aus dem Jahr 2004, und trotz einiger dramaturgischer Änderungen wurden die Auswüchse der Situation – die bis zum sexuellen Übergriff reichen! – für die Fiktion nicht übertrieben.
Was hier vor sich geht – und laut Abspann des Films über 70 Mal auch funktioniert hat – ist einerseits unglaublich geschicktes Social Engineering, andererseits ein in die Wirklichkeit übertragenes Milgram-Experiment: Der Anrufer ist sehr geschickt darin, Informationen aus den Personen herauszulocken, die er dann bestätigt – so erfährt er Namen, Beziehungsverhältnisse und andere Daten, die er gezielt einsetzen kann (und von denen die Personen dann glauben, daß er sie schon im Vorfeld wußte) – und baut andererseits auf die Autoritätshörigkeit vieler Menschen, die trotz Zweifel an der Richtigkeit des Vorgehens von einer wahrgenommenen Obrigkeit Befehle annehmen und sie ausführen.
Die Gefühle, die COMPLIANCE hervorruft, sind höchst widersprüchlich: Man ist fasziniert von der Fähigkeit des Anrufers, die Menschen zu steuern, und will auf gewisse Art auch sehen, wie weit er dieses „Spiel“ treiben kann. Andererseits fühlt man eine enervierende Ohnmacht, weil durch die Schilderungen des vermeintlichen Polizisten eine Wirklichkeit geschaffen wird, gegen die sich die arme Beschuldigte kaum wehren kann – nach ein paar Behauptungen hinsichtlich ihres Diebstahls wird zum Beispiel für die Managerin diese Anschuldigung schon zum Fakt, den sie ohne Einschränkungen weitergibt: „Becky hat Geld gestohlen“. Gleichzeitig sind die Manipulationen des Anrufers fast brillant, weil er sogar ihre Mitarbeit einfordern kann: Entweder stimmt sie einer Leibesvisitation zu, oder sie muß die Nacht in Untersuchungshaft verbringen. Es ist wie ein tückischer Sumpf, den der Anrufer hier immer weiter ausweiten kann.
Und natürlich fühlt man sich auf gewisse Weise überlegen, weil man von sich weiß, daß man selber vernünftiger und kritischer handeln würde. Leider hätten das die Probanden des Milgram-Experiments wohl auch von sich gesagt, und leider ist die unbequeme Wahrheit die, daß man nur allzu leicht in Situationen geraten kann, in denen man sich automatisch unterordnet und Schritt für Schritt zu Handlungen gelockt wird, die man nicht für möglich gehalten hätte. Daß bei Festival-Aufführungen des Films offenbar immer wieder Menschen empört den Saal verlassen, zeigt vielleicht, daß der Film exakt diesen Nerv trifft – oder einfach nur, wie ein glaubwürdig gespieltes und dicht inszeniertes Psycho-Kammerspiel manchen Zusehern zu sehr an die Nieren gehen kann. So oder so: Ein bemerkenswerter Film.
Compliance (USA 2012)
Regie: Craig Zobel
Buch: Craig Zobel
Darsteller: Ann Dowd, Dreama Walker, Pat Healy, Philip Ettinger, Ashlie Atkinson, Bill Camp, Stephen Payne
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