Es gibt Filme, bei denen man genau weiß, daß es einfach nicht sehr nett wäre, Kritik zu üben. Alle haben sich so bemüht! Alle sind sicher mit soviel Herzblut dabeigewesen! Und alles ist so verdammt gut gemeint! Da läuft er nun also, der Film, und man kommt sich vor wie ein richtig schlechter Mensch, weil man so gar nicht ergriffen ist. Glücklicherweise ist es ja nicht Aufgabe der Filmkritikers, nett zu sein – genaugenommen sollte das das allerletzte sein, was ihn in seiner Arbeit auszeichnet. Und deshalb mag jetzt jemand empört sein darüber, daß der gutgemeinte Indie-Streifen BIGGER THAN THE SKY hier mit häßlichen Worten bedacht wird – aber so gern es uns leid tut, das Gegenteil von „gut gemacht“ ist immer noch „gut gemeint“.
In BIGGER THAN THE SKY geht es um Peter Rooker, ein Mensch mit langweiligem Leben und langweiliger Arbeit, der keine Freunde außer seiner Schwester hat und gerade von seiner Freundin verlassen wurde (die jetzt vermutlich eine viel aufregendere Beziehung mit einem Verwaltungsinspektor anfängt). Zufällig sieht Peter einen Casting-Aufruf, wo sich Darsteller bei einer Laien-Produktion von „Cyrano de Bergerac“ bewerben können. Er geht hin, spricht vor – und wird aus Gründen, die niemandem so recht einleuchten (ihm selbst am allerwenigsten), für die Hauptrolle ausgewählt. Natürlich lernt er in der Theatergruppe eine nette junge Schauspielerin kennen (Amy Smart), findet neue Freunde (John Corbett) und kann sein Leben verbessern, auch wenn eine Beziehung zwischen Corbett und Smart seinem eigenen Glück im Wege steht.
Das Kernproblem des Films liegt bei Peter selbst, sowohl in seiner Konzeption wie auch in der schauspielerischen Ausführung. Peter ist wirklich und tatsächlich furchtbar langweilig. Er hat keine Interessen. Er hat auch keine Hobbies. Er sagt nichts Spannendes. Er ist so nett, aufrichtig, ehrlich, schüchtern, zurückhaltend, treuherzig und sterbenslangweilig, daß die Möbel um ihn herum meist interessanter anzusehen sind. (Der Autor schenkt ihm eine persönliche Eigenheit: Ein Sofa auf dem Rasen vor seinem Haus, auf das er sich gelegentlich zum Nachdenken setzt. Worüber auch immer. Es liegt sicherlich nicht an den gefühlten 364 Tagen Regenwetter in Salzburg, daß ich ein Sofa im Freien für eine eher unpraktikable Angelegenheit halte.) Marcus Thomas spielt Peter völlig adäquat: Wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Er steht einfach die ganze Zeit ein wenig hilflos herum, schaut nett und sieht ein wenig überfordert aus. Ehrlich: Die Figur und der Darsteller sind tödlich für den Film. Wir fühlen nicht mit Peter, wir haben Mitleid mit ihm. Hätte der gute Junge nicht wenigstens irgendeine positive Eigenschaft kriegen können, die er einbringen kann?
Schon klar: Es soll um die transformative Kraft des Theaters gehen. Aber auch introvertierte Figuren dürfen mit ein wenig Präsenz gespielt und mit ein paar Eigenschaften ausgestattet werden. Um Peter herum sind denn auch alle Figuren als bunte Vögel gezeichnet: Der unzuverlässige Corbett, der schwule ältere Star des Theaters, der egozentrische Pfau in der Truppe (Sean Astin). Und, ja, Amy Smart, deren Figur ein reiner männlicher Autorentraum ist: Sie ist hübsch und niedlich und mit unglaublich charmanten Eigenheiten ausgestattet, sie kann immer passend zur Lage mit sensiblen Einsichten oder mit kessem Witz aufwarten, lächelt stets aufmunternd, und sie verliebt sich flott in die hilflose Flasche Peter. Und sollten wir ihr Interesse an Peter tatsächlich schlucken, dann ist der Schluß, egal wie schön er für uns verpackt wird, eine reichlich unbefriedigende Angelegenheit, weil Peter als bloßer Katalysator fungiert.
Autor Rodney Vaccaro, der auch EIN DATE ZU DRITT mit Neve Campbell und Matthew Perry geschrieben hat (ein nicht minder schlechter Film, der aber wenigstens unterhaltsam-beknackt als lange Sitcom funktioniert), liebt die Welt des Theaters so sehr, daß er ständig von seiner eigenen Rührung übermannt wird. Alles ist so gut und magisch und gefühlvoll, daß es selbst ohne das Dialogpathos („Diejenigen unter uns, die im Theater leben, haben jeden Tag mit dem Tod zu tun“) schon schwer süßlich zuginge. Und natürlich werden – wie in jedem schlechten Drehbuch über die Bühnenwelt – ständig lange Monologe aus Bühnenstücken zitiert, weil der Autor hofft, mit den entliehenen Worten seine eigene triviale Geschichte mit Tiefgang versehen zu können. (Einzige Ausnahme: Peter, der mit einem Monolog aus Cyrano bei seinem Chef kündigt. Die Szene funktioniert, weil es das erste Mal ist, daß sich Peter die Worte mit Bedeutung aneignet.)
Das Theater ist in der Tat eine sehr eigene, faszinierende Welt. Es besitzt tatsächlich eine transformative Kraft, es kann uns etwas über die menschliche Natur erzählen, es kann Menschen verbinden. Das Theater zieht interessante Leute an, existiert mitunter fernab der tristen Wirklichkeit. Menschen staunen, lachen und weinen im Theater. Wir sind vom Theater fasziniert, weil wir nach den kurzen, flüchtigen Momenten suchen, die etwas bedeuten und die wir mitnehmen können. Vermutlich wissen das die Beteiligten an BIGGER THAN THE SKY. Umso enttäuschender, daß sie nichts Bedeutsames darüber erzählen können.
Bigger than the Sky (USA 2005)
Regie: Al Corley
Drehbuch: Rodney Vaccaro
Kamera: Carl Nilsson
Musik: Rob Cairns
Produktion: Neverland Films / Coquette Productions
Darsteller: Marcus Thomas, John Corbett, Amy Smart, Sean Astin, Clare Higgins, Patty Duke
Länge: 102 Minuten
FSK: 6
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