„Erstmal gab es den originalen, französischen EMMANUELLE-Film, und der hatte richtig Geld gemacht. Und so dachten wir, das können wir auch machen … und haben einfach nur ihre Hautfarbe verändert.“ (Joe D’Amato, Interview mit Splatting Image)
Nach dem Erfolg der geschmäcklerisch ästhetisierten Softsex-Begegnung EMMANUELLE von Just Jaeckin – eine Verfilmung eines Skandalromans einer französischen Diplomatenfrau, die unter dem Pseudonym Emmanuelle Arsan exotisch-erotische Abenteuer niederschrieb – traten Produzentenscharen auf den Plan, die ein Stück des libidinösen Kuchens mitnaschen wollten. In Italien wurde eine Reihe namens BLACK EMANUELLE gestartet, die aufgrund der alternativen Schreibweise (mit nur einem „m“) rechtliche Schwierigkeiten umschiffte, und obwohl der obig zitierte Schundfilmer Joe D’Amato (eigentlich: Aristide Massaccesi) die Serie nicht initiierte (der erste Film mit der dunkelhäutigen Emanuelle wurde 1975 von Alberto Albertini inszeniert), war er doch bald eng mit ihr verbunden. Das liegt einerseits daran, daß er fortan zahlreiche Filme mit der Hauptdarstellerin der Reihe drehte – der exotischen Schönheit Laura Gemser, die mit transzendentem Lächeln gänzlich unaufgeregt durch die Kulissen schwebte und sich geradezu pathologisch zu jedweger Gelegenheit ihrer Kleidung entledigt, um ihren makellosen Körper zu präsentieren – andererseits aber hauptsächlich daran, daß D’Amato die Serie alsbald auf einen düsteren, abgründigen Weg führte, auf dem die zur Schau gestellte Sexualität auf alle denkbaren Formen von Gewalt trifft und somit in einer unangenehmen Vermischung niederer Instinkte letztendlich pervertiert wird. NACKT UNTER KANNIBALEN, in dem blanke Haut mit abstoßendem Ekelhorror verknüpft wurde, ist nur ein Beispiel der unglaublichen Untiefen, in die D’Amato seine Reihe gelotst hat.
Im selben Jahr wie der Kannibalenhybrid, 1977, entstand auch EMANUELA – ALLE LÜSTE DIESER WELT, der im Original EMANUELLE: PERCHÉ VIOLENZA ALLE DONNE? heißt, was man mit „Warum Gewalt gegen Frauen?“ übersetzen kann. Ja, das fragen wir uns ja auch andauernd in diesen Filmen. Dabei fängt alles so harmlos und vergnüglich an: Emanuelle bedankt sich gerade bei einem Lastwagenfahrer für’s Mitnehmen – und das weitaus zuvorkommender als alle Anhalterinnen, die ich je mitgenommen habe – und checkt dann im Sheriton ein, wo sie sofort ein Zimmer bekommt, als eine Angestellte des Hotels sie erkennt: „Emanuelle ist die berühmteste Photoreporterin Amerikas!“ Gepäck hat sie keines – sie reist nur mit einer Zahnbürste, die sie sich dekorativ in den Ausschnitt gehängt hat. Leider landet sie auf dem falschen Zimmer, wo ein lüsterner alter Herr ihr sofort das Kleid auszieht, und weil die berühmteste Photoreporterin Amerikas sich absolut keine Unterwäsche leisten kann, stets die gute Frau auch prompt nackt da. Erbost läuft sie aus dem Zimmer (ohne sich vorher wieder anzuziehen) und rennt auf dem Gang in einen gutaussehenden UNO-Diplomaten hinein, der sie besorgt festhält: „Sie zittern“.
Man kennt das ja: Der nette Diplomat findet die nackte Frau sympathisch, also lädt er sie zum Essen ein. Emanuelle zeigt sich schwer emanzipiert („Männer und Frauen sind gleich. Nur die Gesellschaft will, daß wir unterschiedlich sind“) und redet viel über Freiheit; der Diplomat spricht ein bißchen über die Liebe und wie wenig er es mag, wenn man mit jedem Dahergelaufenen ins Bett steigt, und nebenher schafft er es noch, Emanuelles Bewußtsein für soziale Mißstände zu wecken, was diese ab sofort in ihre Arbeit als Photoreporterin einfließen lassen möchte. Daher ist sie auch einigermaßen erbost über ihren nächsten Auftrag, in Indien über einen Sexguru zu berichten – wo dort doch Menschen verhungern! Weiß der Himmel, worüber sie vor ihrer sozialen Phase berichtet hat.
In Indien angekommen, wird sie von einem bärtigen Mann erstmal ein wenig durch die malerische Landschaft geführt – nicht nur der Sex ist hier touristisch angehaucht – bevor sie dann ihr Hotelzimmer (richtiger: „große mondäne Palastsuite“) bezieht. Im Zimmer versteckt sich eine blonde italienische Frau, und Emanuelle fragt sie, wer sie ist, während sie sich auszieht. Die nette Blonde versteckt sich hier und kann nicht weg, weil sie mit bösen Menschen in Kontakt gekommen ist, und während sich die nackte Emanuelle auf’s Bett legt, zieht sich die Blonde aus, um zu meditieren. Na, da stimmt doch offenbar die Chemie. Zweimal angelächelt, und schon werden zu aufschwellender Sleazy-Listening-Musik Nippel geleckt und Körper aneinandergerieben. Hinterher erzählt die Italienerin, die nach eigenem Bekunden noch nie mit einer Frau intim war (ein Detail, das wir nur deshalb erwähnen, weil wir die differenzierte Charakterzeichnung hervorheben möchten), von einem Ring von Mädchenhändlern, und dann gibt sie Emanuelle den Schlüssel zu ihrem Haus in Italien, wo sie ja derzeit eh nicht hinkann.
Zeit, sich den Betrieb des Sexgurus einmal anzusehen. In einer großen Palasthalle instruiert der bärtige Guru (George Eastman!) eine Massenorgie, wo viele schöne Menschen hingebungsvoll das Zimmer drapieren. Wir lernen viel vom Guru: Ein Orgasmus ist wie ein Tod, weshalb man den Höhepunkt so lange wie möglich hinauszögern soll. Oder: Eine Frau muß aktiv werden und sehr viele ungewöhnliche Stellungen initiieren, um Liebe, Freundschaft und Respekt vom Partner zu bekommen. Um inmitten der Orgie nicht aufzufallen, zieht sich Emanuelle gleich aus und besteigt einen herumliegenden Mann, den sie in kürzester Zeit zum Höhepunkt bringt. Empörung macht sich breit im Saal.
In den Privatgemächern des Gurus zeigt dieser, daß er auch von weltlichen Dingen etwas versteht: „Die Armen bleiben arm, weil sie nicht intelligent und schlau genug sind, um reich zu werden“. Nach kurzem Interview nimmt sich Emanuelle den guten Mann zur Brust, empfiehlt ihm aber nach dem Liebesspiel, er solle doch besser bei der Theorie bleiben. Emanuelle betreibt Enthüllungsjournalismus im wahrsten Sinne des Wortes.
Weil aber jetzt das soziale Bewußtsein wieder erwacht, trifft sich Emanuelle mit einer schreibenden Kollegin, die für ihre investigativen Exposés über skandalöse Aktivitäten bekannt ist, und aus einem mir unerfindlichen Grund lassen die beiden Frauen die Gelegenheit verstreichen, sich in dem malerischen Café auszuziehen – stattdessen planen sie einen Schlag gegen den obig erwähnten Mädchenhändlerring, wofür sie nach Italien reisen und sich dort von den erstbesten Geschäftsleuten mitsamt Rolls-Royce aufgabeln lassen, die sie finden können. Es wird ein wenig gegessen, die Frauen werden weitergereicht, Geldscheine wechseln den Besitzer – und prompt stehen die Mädels nackt, gefesselt und mit verbundenen Augen bei den hochrangigen Mitgliedern eines Mädchenhändlerrings. Wir lernen, daß man sich gar nicht anstrengen muß, jemanden zu suchen, weil die bösen Menschen von ganz alleine auftauchen.
Ab diesem Zeitpunkt ist es vorbei mit der luftig-leeren Harmlosigkeit des Films: Die Frauen werden gedemütigt, verprügelt, und ein fieser Kerl mit entstelltem Gesicht vergewaltigt zwei von ihnen. Angesichts der schwer unromantischen Entwicklung der Handlung drängt sich die Frage nach dem Zielpublikum des Films auf – oder, ebenso gruselig, die Überlegung nach der Intention der Filmemacher. Natürlich ist der Aufhänger des journalistischen Aufdeckens skandalöser Gewaltverbrechen gegen Frauen kompletter Schwachsinn, weil sämtliche Darstellungen im Film reiner Selbstzweck sind: Sexualität wird um der Sexualität willen gezeigt, und die Gewalt ebenso, und aus diesem Grund ist eine Vermengung beider Elemente ein purer Apell an die sensationslüsternen niederen Instinkte, wo implizit das Interesse an der Darstellung von Sexualität mit dem Interesse an der Darstellung eines Gewaltakts gleichgesetzt wird.
Es folgt ein flotter Schnitt, und schon ist’s ein neuer Tag. Emanuelle marschiert gerade gutgelaunt aus dem Polizeirevier heraus und bedankt sich bei dem Motorradfahrer, den sie zuvor noch instruiert hatte, ihr zu folgen, für die Rettung. Böse Menschen hinter Schloß und Riegel, daß muß auf der Yacht des Motorradfahrers unter Verlust sämtlicher Kleidung gefeiert werden. Man kann das jetzt auf zwei Arten betrachten: Entweder halten die Filmemacher die Vergewaltigungen für ebenso erotisch wie den Rest des Films, oder sie glauben so sehr an das Gute im Menschen, daß auch nach einer so abstoßenden Erfahrung schnell wieder die unschuldige Freude an der nackten Haut erwachen kann. Vielleicht sollten wir sicherheitshalber nicht nachfragen.
Aber, ach, es gibt ja noch mehr böse Menschen auf dieser Welt, und deswegen reisen Emanuelle und ihre Kollegin nach Hong Kong, wo sie sich einem weiteren Mädchenhändler auf die Fersen haften. Nach kurzer Befragung eines chinesischen Restaurantbesitzers stöbern sie den polizeilich gesuchten Verbrecher auch sofort auf – schade eigentlich, daß Emanuelle nie versucht hat, den Gitarristen der Manic Street Preachers ausfindig zu machen! Der böse Chinese kidnappt Emanuelle und zeigt ihr seinen Unterschlupf, wo er nackten Frauen lebendige Schlangen in die Vagina schiebt oder sie – dankenswerterweise als Trick gefilmt – von seinem Schäferhund besteigen läßt. Was für ein trauriges, abartiges Spektakel.
Die Kollegin schreitet mit der Pistole zur Rettung, und der perverse Chinese wird verhaftet. Bevor die Freude aber zu groß wird, machen sich die beiden Journalistinnen auf nach Amerika, wo ein Senator Frauen auf Parties abschleppt und sie dann in betrunkener Runde zwingt, nackt für sich zu tanzen. Es zeugt vom fiebrigen Realitätsverlust der Filmemacher, daß das arme Mädchen nichts von Unterwäsche hält und nicht etwa davonrennt, sondern den Spaß ein wenig mitmacht. Dann kommen ein paar Obdachlose, einer zückt eine Waffe, die Festgesellschaft des Senators sucht das Weite, und die Penner machen sich über die nackte Frau her. Mal ehrlich: Ich will’s nicht mehr sehen.
Schnitt, neuer Tag, Polizei da. Emanuelle in der fröhlichen Gewißheit, Gutes getan zu haben und böse Menschen bestraft zu haben, auf der Yacht von dem netten UNO-Botschafter. Sie skippern vor der Kullise von New York herum. Abspann und aus.
Vielleicht waren die Beteiligten an diesem Film wahrhaftig davon überzeugt, einen kritischen Beitrag über die Gewalt gegenüber Frauen in einen Erotikfilm verpackt zu haben. Vielleicht waren sie aber auch so zynisch, daß sie sich sicher waren, jeder Schaulustige würde nur undifferenziert verbotenes Spektakel jedweger Art sehen wollen. Die Wahrheit ist wahrscheinlich, daß D’Amato, der in Interviews stets darauf hingewiesen hat, daß er sich als Geschäftsmann sieht, und gleichzeitig eine unglaubliche Begeisterung über das Filmemachen an den Tag legte, seine größte Lust im schockierenden Tabubruch fand: Völlig egal, was da auf der Leinwand passiert – Hauptsache, es regt die Leute auf. In gewissem Sinne ist das anarchistischer Punkrock, ohne Werte und ohne Sinn.
Das entlastet D’Amato, aber es macht den Film nicht harmloser und das Ansehen nicht erfreulicher. Man muß ja nicht auf jede Provokation einsteigen.
Emanuela – Alle Lüste dieser Welt (Italien 1977)
Originaltitel: Emanuelle – Perchè violenza alle donne?
Regie: „Joe D’Amato“ (= Aristide Massaccesi)
Drehbuch: Maria Pia Fusco, Gianfranco Clerici
Musik: Nico Fidenco
Produktion: Embassy
Darsteller: Laura Gemser, Karin Schubert, Ivan Rassimov, George Eastman
FSK: 18
—————–
4 8 15 16 23 42